[1 Buch – 2 Meinungen] Feminismus für Einsteiger: „Untenrum frei“ von Margarete Stokowski
In der Universität bin ich das erste Mal mit Genderwissenschaft in Kontakt gekommen. Ich hatte eine sehr gute Dozentin, die mit uns in den theoretischen Backround eingestiegen ist (wir haben neben vielem anderen auch Auszüge aus Simone de Beauvoir und Judith Butler gelesen). Nebenbei hat sie aber auch immer wieder Geschlechterbilder in Klassikern aufgezeigt, von der gesellschaftlichen Funktion von Geschlechtertrennung erzählt und uns über die historischen Hintergründe und die Entwicklung des Feminismus aufgeklärt. Am stärksten beeindruckt haben mich jedoch die Geschichten über ihre eigene Tochter und ihre beiden Enkelkinder, ein Mädchen und ein kleiner Junge. Über die Schwierigkeit, mit beiden gemeinsam in Urlaub zu fahren, denn ER soll ja einen aktiveren Urlaub haben. Über die Schwierigkeit, Weihnachtsgeschenke zu kaufen, die nicht nur rosa oder blau sind. Über die Frage, ob er mit 4 Jahren denn die abgelegte gelbe Hose von IHR anziehen darf. Das machte auf ganz eindeutige Weise klar, wie oft uns das Thema Geschlecht im Alltag begegnet, oftmals ohne das wir es selbst bemerken.
Im Folgenden möchte ich euch eine sehr gute Einsteiger-Lektüre in dieses spannende Thema vorstellen und weil ich dieses Buch kaum ausgelesen an eine Freundin versandte, die es ebenso schnell verschlang, hat sie auch noch ein paar Worte zu sagen!
„Untenrum frei“ von Magarete Stokowski
Margarete Stokowski verknüpft in diesem Buch ihre persönlichen Erfahrungen mit Geschlecht, Sex und Macht miteinander. Und zeigt in lockerem Ton auf, warum Feminismus uns alle interessieren sollte: In sieben Kapiteln begleiten wir sie durch verschiedene Lebensabschnitte und stellen immer wieder fest, wie stark der Einfluss von Geschlechterbildern auf unsere Entwicklung, unser gesellschaftliches Miteinander ist. Besonders, weil mit allem Sexuellen, ob nun anrüchig oder nicht, immer auch sehr viel Schamgefühl verbunden ist, meiden wir allzu oft Themen, über die nachzudenken nach Stokowskis Lektüre nur logisch erscheint.
Feminismus für Jedermensch
Was mich besonders beeindruckte, war der lockere Ton, in dem das Buch geschrieben ist. Wo andere Bücher sich zu sehr in Theorie verstricken und zu abstrakt werden, nimmt Stokowski uns Leser mit in ihre eigene Kindheit, Pupertät und die jungen Erwachsenenjahre. Und zeigt immer wieder humorvoll und eindrücklich, dass Geschlechterbilder nur Bilder und keine Realität sind.
Während wir glauben, wir – oder die Generationen vor uns – hätten die Fesseln des Patriarchats längst gesprengt, haben wir nur gelernt, in ihnen shoppen zu gehen.
Untenrum frei, Seite 93
Der Einfluss von Erziehung, aber auch von gesellschaftlichen Normen, ob nun explizit formuliert oder implizit, wird immer wieder deutlich. Und es zeigt sich: Wie wenig wir die vorherrschenden Geschlechterbilder auch heute noch ablegen können, obwohl wir uns doch so feministisch und frei fühlen. Die Lektüre rüttelt auf und regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern dazu, aus bequemen Handlungs- und Denkmustern auszubrechen und sich endlich von alten Geschlechterbildern zu verabschieden. Denn davon können wir als Gesellschaft alle nur profitieren!
Auf „Untenrum frei“ haben wir gewartet.
Margarete Stokowski zieht ihren Text erstaunlich facettenreich auf. Von Konkreta des Alltags kommt sie zum Großen und Ganzen, den Strukturen, die unsere Gesellschaft formen, und wieder zurück. Durch die zeitweilige Ich-Perspektive fällt es den Leser*innen leicht, sich mit den beschriebenen Situationen zu identifizieren, wiederzufinden und vor allem zu fragen: Geht mir das auch so? Was denke ich darüber? Wie würde ich handeln? Die Leserschaft kommt nicht umhin, sich an der ein oder anderen Stelle ertappt zu fühlen. Untenrum frei wird damit aber nicht zum Werk moralischer Erpressung, sondern vielmehr zu einer niedrigschwelligen, aber umfassenden Einladung, die eigene Wahrnehmung für Sexismus zu schärfen. Das passiert ganz automatisch, denn Stokowski entlarvt nicht nur die eigenen Denkstrukturen, sondern jene gesellschaftlichen, die uns überhaupt erst dazu bringen, die Umstände der Ungerechtigkeit zu durchleben und schließlich hinzunehmen; so normal sind sie uns. Belegt wird all das mit Studien und Verweisen auf die entsprechenden theoretischen Grundlagen. Diese könnten an einigen Stellen ausführlicher dargelegt sein, bieten aber nützliche Referenzen zum Weiterlesen und Weiterdenken.
Margarete beherrscht es, ein Buch voller Appelle zu schreiben, das trotz seiner Klarheit keine Zeigefinger-Ermahnung ist. Sie scheut sich nicht vor klaren Haltungen, welche die nötige Verbindlichkeit schaffen. Dies liegt sicher auch in ihrer zugänglichen, emotionalen Sprache begründet, die es ein Leichtes macht, der Autorin zu folgen – in ihren Lebenswelten wie ihren Forderungen.
Interessant ist dieses Buch aber auch für die Feminist*innen unter uns, die sich ihrer Haltung bewusst sind, in Situationen des Konflikts aber überfordert sind. Es kann uns helfen, auf Vorurteile und Ablehnung sicher zu reagieren, denn Stokowski entkräftet sie alle.
Mit Margarete Stokowski hat sich eine Journalistin an das Thema herangewagt, die einerseits durch ihre Arbeit für massenmediale Formate wie Spiegel Online eine umfassende Reichweite sowie das Bild einer Autorin „für alle“ hat und andererseits als Feministin durch ihre klare Positionen ernst zu nehmen ist. Das passiert selten: Für gewöhnlich bleibt es oberflächlich oder erreicht doch nur jene, die bereits in der Materie sind. Aus diesem Grund ist Untenrum frei auch das optimale „Einsteigerwerk“ für all jene, die Interesse am Diskurs um Gendergerechtigkeit haben, aber noch keinen Impuls oder Zugang hatten, dieses weiter zu vertiefen.
Mit Dank an L. für ihren Text!
Weitere Meinungen
„Lest dieses Buch! Egal, ob alt oder jung, männlich oder weiblich oder non-binary, egal ob Feminist oder Anti-Feminist, jeder sollte dieses Buch lesen.“ bei Ink of Books
Habt ihr auch eine Rezension zu Untenrum frei veröffentlicht oder könnt mir weitere gute Feminismus-Bücher empfehlen? Dann lasst mir gerne einen Kommentar da 🙂
Ein Kommentar
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