"Alle Tage" von Terézia Mora  - oder: Warum ich ein Buch abgebrochen habe
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„Alle Tage“ von Terézia Mora – oder: Warum ich ein Buch abgebrochen habe

Nennen wir die Zeit jetzt, nennen wir den Ort hier. Beschreiben wir beides wie folgt.

Alle Tage, S.9

Alle TageTerézia Mora - Alle Tage

Der Roman stellt das Schicksal eines heimatlosen Mannes dar. In sein osteuropäisches Heimatland kann er nicht zurückehren, dort herrscht Krieg. So lebt er in Deutschland am Rande der Gesellschaft; ist kein Aussteiger, sondern ein Nie-Dazugehörender. Obwohl er bereits jahrelang in Deutschland lebt, arbeitet und auch heiratete, hat er keinen Platz gefunden, an den er gehört. So lebt er im Jetzt, ohne Zukunft, seine Vergangenheit liegt zu weiten Teilen im Dunklen. Auch die Menschen, mit denen er in Kontakt kommt, gehören zu den Ausgestoßenen einer Gesellschaft, die sich wenig um individuelle Schicksale kümmert.

Meine Meinung

Wie die Beschreibung es schon erahnen lässt, ist dieser Roman sehr bedrückend. Der Tonfall beschreibt die Schicksale sehr nüchtern, was ich passend fand. Auch die Verquickung unterschiedlicher Lebenswege durch verschiedene Figuren und daher der Perspektivwechsel zwischen diesen Figuren ist naheliegend und gut konstruiert. Was ich an diesem Roman so anstrengend fand, ist das absolute Fehlen eines literarischen Erzählers. Normalerweise mag ich unzuverlässige Erzähler sehr gerne. Gerade dieses Spiel zwischen „Ich erzähle eine fiktionale Geschichte“ und „Du weißt aber, dass du mir nichts glauben darfst. Denn nichts ist wahr“ zwischen Erzähler und Leser ist sehr, sehr spannend. Die Frage, wie weit man sich als Leser auf den Erzähler einlassen darf, wie tief man ihm glauben schenkt oder ihn eben hinterfragen muss. Mora jedoch treibt dieses Spiel auf die Spitze. Da es keinen greifbaren Erzähler gibt, muss man als Leser immer wieder reflektieren, aus welcher Perspektive erzählt wird. Dies wechselt mitunter so schnell, dass ich dem Wechsel kaum folgen konnte:

Zur Scheidung, an einem Montag vor …, kam er wieder zu spät, ich habe so was schon geahnt, nach einer Weile weiß man das, schon als noch Zeit genug war, eine Viertelstunde vor dem Termin, als sich Mercedes mit der gemeinsamen Anwältin traf.

Alle Tage, S. 11

Schon an diesem einen Satz sehr zu Anfang kann man sehen, wie willkürlich die Erzählperspektive gestaltet ist. Der Wechsel zwischen einer übergeordneten Erzählinstanz und der Innensicht von Mercedes ist so fluktuierend, dass man beim schnellen Lesen darüber stolpert. Literarisch ist dies interessant, als Leser empfand ich es jedoch als äußerst anstrengend dem Erzählfluss zu folgen.

Das ganze Buch spielt regelrecht mit dieser Unbestimmtheit. Der Erzähler und die erzählenden Figuren sind nur schwer zu fassen und werden, obwohl teilweise sehr ausführlich beschrieben, kaum greifbar für den Leser. Zeitliche Einordnungen gibt es kaum, ebenso wenig wie räumliche. Wie der Titel „Alle Tage“ schon nahe legt (und es wird auch im Roman selbst reflektiert) geht es weniger um den konkreten Ort, die konkrete Zeit oder die dargestellten Figuren. Die Geschichte will eine universale Geschichte sein, die überall zu jeder Zeit spielen könnte. Literarisch, wie schon erwähnt, spannend. Warum habe ich das Buch also trotzdem abgebrochen? Angefangen habe ich den Roman während einer 5-stündigen Bahnfahrt. Normalerweise kann ich sehr gut in der Bahn lesen, da ich mich auf solch langen Fahrten ohne Unterbrechungen auf die Geschichte konzentrieren kann. Mein Handy ist meistens aus, da der Empfang in der Bahn eher mäßig ist, und ich möchte mich in der Bahn auch nicht mit wildfremden Menschen über ihre Reiseziele unterhalten. Auf solchen Reisen beginne ich mit Vorliebe neue Romane, da sich manche Geschichten eben besser am Stück lesen lassen und ich quasi ablenkungsfrei fast das ganze Buch lesen kann. Mit „Alle Tage“ fiel mir dies sehr schwer. Ich musste ganze Absätze immer wieder von neuem Lesen und schon nach wenigen Seiten bekam ich Kopfschmerzen von der Anstrengung, mich so zu konzentrieren, dass ich die einzelnen Erzählstränge und -perspektiven nicht durcheinander brachte. Auf Seite 64 habe ich das Lesen aufgegeben. Trotz einiger Versuche, wieder daheim und mit noch mehr Ruhe wieder einzusteigen, ist mir ein ‚Reinkommen in die Geschichte‘ einfach nicht gelungen.

Der Roman ist, wie gesagt, literarisch interessant. Ich denke, wenn ich mich besser auf die Geschichte hätte konzentrieren können, hätte ich das Spiel der Wechsel mitreißender gefunden. Leider setzte sich bei mir während des Lesens ein sehr negativer Leseeindruck fest, weshalb ich nun zögere, mich ein weiteres Mal daran zu wagen. Vielleicht werde ich Mora irgendwann noch einmal eine zweite Chance geben, für jetzt gerade, würde ich jedoch ausschließen, dass ich dieses Buch so schnell wieder in die Hand nehme.

*Ich gebe hier meine persönliche Meinung über den Roman wieder.  Ich bemängele ausdrücklich nicht die Qualität der Geschichte, sondern setze mich mit meinen Leseeindrücken auseinander!

Die Unbestimmtheit ist gewollt und schriftstellerisch sehr gut gemacht. Sie entspricht nur nicht meinem persönlichen Geschmack.*

Ist es euch auch schon einmal mit einem Roman so ergangen? Welchem?

Lest ihr Bücher immer bis zum bitteren Ende durch, selbst wenn sie euch nicht fesseln? Oder brecht ihr häufiger Bücher ab?

Hier geht’s zum Buch

Alle Tage von Terézia Mora

btb

430 Seiten, 10,99 Euro

978-3-442-73496-2

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