Eine kraftvolle Stimme: "Frauen & Macht" von Mary Beard
Rezension

Eine kraftvolle Stimme: „Frauen & Macht“ von Mary Beard

Worin besteht Macht in einer Gesellschaft? Mary Beard würde wohl behaupten in der Fähigkeit öffentlich sprechen zu können und dabei auch noch gehört zu werden. In zwei eindringlichen Essays zeigt sie die eingeschränkten Möglichkeiten öffentlicher Rede von Frauen und die Strukturen, die diese öffentliche Rede unterdrückten. Sie beschäftigt sich dabei nicht nur mit antiken Traditionen, die sich in Gesellschaft und Kultur manifestierten, sondern zeigt auf, wie diese Strukturen bis in unsere heutige Gesellschaft wirken.

Die öffentliche Stimme von Frauen

Zunächst analysiert Beard anhand von vielen historischen Quellen und kulturellen Zeugnissen die vermeintlichen Unterschiede in der Rede von Frauen und Männern. Wenig überraschend waren diese Unterschiede gesellschaftliche Zuschreibungen, die bis heute prägend sind. Die ehemals gesellschaftliche Aufteilung von öffentlichen wie privaten Räumen erstreckt sich dabei auch auf Funktionen der Rede: Männern stand über Jahrhunderte der öffentliche Raum, ebenso wie der politische oder juristische, offen um zu sprechen und gehört zu werden. Die Möglichkeiten für Frauen waren dagegen weitaus eingeschränkter, auch wenn es bereits einige Ausnahmen gab. Wer Interesse an abendländischer Kultur hat, wird sicherlich voll auf seine Kosten kommen!

Interessant an der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Raum ist natürlich die geschlechtliche Aufteilung auf diese Räume: Während Frauen den privaten Raum einnehmen, dürfen sie im öffentlichen Raum nicht sprechen. Verstoßen sie gegen diese Regel, so werden sie (von männlichen Autoren) in vielen Schriften entweiblicht. Die Zuschreibung der Unmöglichkeit weiblichen Sprechens im Öffentlichen scheint so stark, dass jeder Verstoß dagegen automatisch zu einem Bruch mit den sonstigen geschlechtlichen Zuschreibungen führt. In der Konsequenz führt diese Entwicklung dazu, dass die weibliche Stimme im Gegensatz zur männlichen nicht mit Autorität verknüpft werden kann. Hierhin liegt also der Grundstein für ein angenommenes geschlechtsspezifisches Sprechen begründet. Dies betrifft im Übrigen nicht nur das Sprechen, sondern auch den Aspekt des Gehört werdens: Wenn wir Frauen gesellschaftlich als weniger mächtig erleben, liegt dies daran, dass wir in einer Kultur leben, in der wir gelernt haben, Beiträge zum Diskurs, die von Frauen stammen, auf eine ganz bestimmte Art wahrzunehmen.

Frauen an der Macht

Im zweiten Essay beschäftigt sie sich mit dem weitgehenden Fehlen weiblicher Rolemodels. Unsere Vorstellung von einer mächtigen Frau ist stark daran gekoppelt, dass sie sich von ihrer Weiblichkeit löst und sich selbst „vermännlicht“. Beispiele sind hier zahlreiche weibliche Politikerinnen, die gerade darum erfolgreich werden, weil sie jegliche weiblichen Züge von sich weisen. Macht und öffentliches Prestige sind dabei eng miteinander verknüpft. Auffällig ist auch, dass machtvolle Frauen scheinbar eine Schranken überschritten haben, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts nicht zustehen. Zumindest lässt sich dies aus Schlagzeilen schließen, die weniger den Griff auf die Macht thematisieren, sondern die Tatsache des weiblichen Geschlechts des nach der Macht Greifenden. Wie sich am Beispiel der drei Initiatorinnen der Black Lives Matter-Bewegung zeigt, können Frauen gesellschaftlich durchaus Positionen und Themen bewegen. Auffällig ist aber, dass ihre Namen dabei weitgehend unbekannt bleiben, ein Muster das eben jenes Fehlen weiblicher Öffentlichkeit versinnbildlicht.

Ausgehend von antiken Traditionen beschreibt Beard Strukturen und Mechanismen der Trennung von öffentlicher und privater Sphären und der darin zugrundeliegenden Machtverteilung. Der analytische Blick richtet sich dabei auf einen dringend zu führenden Diskurs über Macht, Öffentlichkeit und wirkliche Gleichberechtigung und bietet viel Potential zum Nach- und Weiterdenken.

Fazit: Ein Buch wie Sprengstoff über öffentliche Wahrnehmung, Macht und fehlende Gleichberechtigung! Eine Empfehlung für alle, die patriarchale Strukturen und Mechanismen besser verstehen lernen möchten.

P. S. Die Namen der Gründerinnen der Black Lives Matter-Bewegung lauten Alicia Garza, Patrisse Cullors und Opal Tometi. Ich finde es sehr schade, dass ich sie niemals zuvor irgendwo gelesen habe.

Ebenfalls lesenswerte Worte zum Buch findet ihr auf Crow and Kraken und Let us read some books.

2 Kommentare

  • Tala

    Hallo Jennifer,
    vielen Dank für die Zusammenfassung, das klingt nach einem sehr spannenden Buch, das dazu anregt, auch mal die eigenen Gewohnheiten zu überdenken. Zum letzten Thema fiel mir gerade allerdings ein, dass es auf die Fridays for Future-Bewegung offenbar nicht zutrifft. Da sind sowohl Greta Thunberg als auch Luisa Neubauer namentlich sehr präsent. Was nicht heißt, dass sie wegen ihres Engagements nicht ordentlich öffentlich diffamiert werden.
    LG, Tala

    • Jennifer

      Hallo Tala,
      an Friday for Future musste ich beim Lesen auch denken. Allerdings sind die zwar namentlich bekannt, aber inwieweit sie in der öffentlichen Diskussion ernst genommen werden, kann man schon diskutieren. Und na ja, bei Luisa Neubauer und Greta Thunberg kommt zusätzlich zum Geschlecht sicher oft das Argument der „fehlenden Erfahrung“ aufgrund des Alters…
      Aber es stimmt – die beiden brechen ein bisschen mit dem üblichen Muster.
      Danke für den Einwurf 🙂
      VG Jennifer

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