"Einsatz am Limit" von Luis Teichmann
Rezension

„Einsatz am Limit“ von Luis Teichmann oder: Wer rettet den Rettungsdienst?

Durch seine Shorts auf Youtube bin ich auf Luis Teichmann aufmerksam geworden. Unter dem Namen Retterview erzählt er dort in kurzen Videos aus seinem Alltag im Rettungsdienst. Mal unterhaltsam, mal informierend, aber immer sehr alltagsnah beleuchtet er viele unterschiedliche Themen aus dem Rettungsalltag, nicht alle nur medizinisch. Als ich also bei Bookbeat über sein Buch Einsatz am Limit. Was im Rettungsdienst schiefläuft – und warum uns das alle angeht stolperte, war ich mehr als nur neugierig.

Einblicke in den Rettungsdienst

Das nur 208 Seiten schmale Buch bietet einen überraschend umfassenden Blick hinter die Kulissen des Rettungsalltags. Teichmann selbst fährt seit 7 Jahren im Rettungsdienst und erzählt sehr persönlich von seinem Weg über ein FSJ hin zum Vollzeit-Retter. Neben den Unterschieden der verschiedenen Berufe rund im und um das Rettungswesen erzählt er vor allem von strukturellen Problemen im Rettungsdienst. Dabei geht es zum Beispiel um fehlende Einheitlichkeit von Ausstattung aber auch um die unterschiedlichen Kompetenzen der Rettenden. Denn ob ein Rettungssanitärer ein Medikament einsetzen darf, hängt nicht nur vom Vorhandensein eines Notarztes ab, sondern auch davon, in welcher Kommune der Sanitär sich befindet. Ja, Kommune. Wer hätte wie ich gedacht, dass der Rettungsdienst zumindest auf Landesebene einheitlich organisiert ist?

Welche Probleme sich aus dieser Uneinheitlichkeit ergeben, beschreibt Teichmann anhand vieler Anekdoten aus dem Rettungsalltag. Und daneben berichtet er von vielen weiteren strukturellen Problemen: Schlechte Zusammenarbeit vom Rettungsdienst mit (freiwilliger) Feuerwehr oder Notaufnahmen. Überlastung des Rettungspersonals durch ein schlecht organisiertes Schichtsystem. Teilweise fehlende Schlaf- bzw. Wachräume für Nachtdienste bzw. Bereitschaften. Die fehlende Möglichkeit für psychologische Unterstützung nach belastenden Einsätzen. Das alles bestimmt den Alltag im Rettungsdienst und sorgt dafür, dass Kollegen ausbrennen und aus gesundheitlichen Gründen zu früh aus dem Beruf ausscheiden.

Das Beste für den Patient im System?

Hinzu kommt laut Teichmann das Problem, dass es keine gute Vernetzung zwischen den einzelnen Einheiten innerhalb des System gibt. So gehen vom Zeitpunkt eines Notrufs, über die Versorgung durch den Rettungsdienst bis hin zum Eintreffen in einer Notaufnahme an vielen Stellen Informationen verloren, die entscheidend für ein schnelles Handeln im Sinne des Patienten sind. Gleichzeitig steigt der Druck auf den Rettungsdienst seit Jahren: Weil immer weniger Menschen wissen, wann ein Anruf beim Notruf angebracht ist, oder ein Notsanitär bei einem bekannten Krankheitsbild bestimmte lebensrettende Medikamente nur im Beisein eines Arztes einsetzen darf, werden immer häufiger Noteinsätze mit immer mehr Personal angefordert. Die dadurch gebundenen Kräfte stehen anderweitig in diesem Zeitraum nicht mehr zur Verfügung.

Aufgelockert wird diese geballte Ansammlung an Kritik und Wissen durch anekdotische Geschichten aus dem Retterleben. Im Gegensatz zu seinen Social Media Videos beschränkt sich Teichmann jedoch nicht nur darauf witzige oder skurrile Begebenheiten wiederzugeben, sondern stets ein Mehr an Informationen zu vermitteln: Was läuft schief, was gut? Welchen Einfluss haben Situationen auf weitere Stellen im System? So erhält man auch als Laie einen nachvollziehbaren und umfangreichen Einblick in das Rettungswesen.

Über allem schwebt zudem stets die Frage: Warum läuft so vieles scheinbar schief im Rettungsdienst? Sollten wir als Gesellschaft nicht ein großes Interesse haben, die Abläufe zu verbessern, Fachpersonal nicht zu überlasten und ein funktionierendes System zu erhalten? Ob die von Teichmann vorgeschlagenen Lösungen, zB zur Reorganisation des Schichtsystems, sinnvoll sind, vermag ich als Laie nicht zu beurteilen. Aber mit Sorge nehme ich wahr, dass es scheinbar nicht einmal eine (politische) Diskussion darüber gibt, welche Anpassungen im Rettungsdienst und den angebundenen Notaufnahmen nötig sind. Über die Überlastung und den Pflegemangel in Krankenhäusern habe ich im Zuge der letzten Jahre unzählige breit angelegte mediale Diskussionen verfolgt (auch wenn sich an der Situation selbst leider scheinbar wenig verbessert hat). Vom Problemen im Rettungsdienst habe ich durch dieses Buch erstmals erfahren.

Fazit: Unterhaltsam & lehrreich: Ein guter Einblick in den Rettungsdienst, der Wissen vermittelt und zugleich Denkanstöße anregt. Anekdotische Geschichten aus dem Retteralltag lockern das Ganze auf, stehen jedoch nicht im Mittelpunkt. Stattdessen werden strukturelle Probleme und mögliche Lösungen rund scheinbar leider sehr dezentral und nicht miteinander vernetzten Rettungsdienst vorgestellt.


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Einsatz am Limit. Was im Rettungsdienst schiefläuft – und warum uns das alle angeht von Luis Teichmann
208 Seiten
Taschenbuch
Erschienen im September 2022
EMF Verlag

2 Kommentare

  • Tina

    Hi Jenny,

    ich bin diese Woche im Thalia an einem Regal vorbei gelaufen, in denen einige Bücher standen, die das aktuelle System durch Menschen beschreiben, die darin arbeiten. Ich habe noch zu keinen Buch gegriffen, bin aber schon recht neugierig.
    Dass wir beim Rettungsdienst Unterschiedliche Dinge innerhalb von Kommunen haben, wusste ich auch nicht. Meine Güte, wie soll man da durchblicken?
    Das Thema, wann wähle ich den Notruf ist auch so ein Ding. Ich glaube, dazu fehlt einfach Öffentlichkeitsarbeit bzw. Aufklärung.

    Liebe Grüße
    Tina

    • Jennifer

      Hi Tina,
      oh, ich wusste nicht, dass Thalia da inzwischen ein eigenes Regal hat. Spannend!

      Ja, man weiß von außen echt immer gar nicht, was da alles (organisatorisch) hinter steckt. Darum fand ich Einsatz am Limit so lehrreich. Gucke auch die Shorts auf YouTube ganz gerne und ich glaube es gibt auch einen Podcast (den ich aber noch nie gehört hab)
      VG Jennifer

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