[Fundstück] Sich verändernde Sprache und Wirklichkeit
Heute gibt es bei mir mal wieder ein Fundstück aus dem Netz, über das ich vor kurzem gestolpert bin. Es geht dieses Mal nicht um Literatur, sondern um Sprache, aber auch daran hab ich studienbedingt natürlich ein großes Interesse.
In der Taz schrieb Waltraud Schwab
„Debatte Sprache und Paragraph 219a
Es gibt kein „ungeborenes Leben“
Die Sprache von Abtreibungsgegner*innen reduziert Frauen zum Container des Embryos. So gerät ihr Recht auf Selbstbestimmung in Gefahr.“
Quelle: Taz
Sie beschäftigt sich in dem sehr lesenswerten Kommentar mit dem Begriff und der Nutzung von „ungeborenem Leben“ und zeigt einerseits den biologischen Widerspruch auf, den der Begriff beinhaltet, über den aber selten gesprochen wird, und kritisiert andererseits wie unbedacht und häufig der Begriff verwendet wird.
„„Ungeborenes Leben“ wird synonym für Fötus, für Embryo benutzt. Wer die Phrase verwendet, verwischt Gegensätze. Geboren. Ungeboren. Alles gleich. Zudem wird das Wort „Leben“ in dem Zusammenhang, in den Abtreibungsgegner es stellen, nur für Menschen gemeint. Die selbsternannten „Lebensschützer“ setzen sich demnach exklusiv für den Homo sapiens ein. Am liebsten den ungeborenen.“
Ich finde besonders interessant zu sehen, dass die dahintersteckende Idee vom wachsendem Leben erst in den 70er Jahren entstanden ist. Das war mir nicht bewusst und ich fand es interessant nachzuvollziehen. Auch die Tatsache, dass Frau und Fötus bis ins 18. Jahrhundert als körperliche Einheit gesehen wurde und wie sich diese Sichtweise geändert hat, war mir neu.
„Wie aber konnte es passieren, dass diese Phrase „ungeborenes Leben“ so ungefiltert ins Sprachbewusstsein gewandert ist, wo doch noch nicht einmal die Biologie eine verbindliche Erklärung für „Leben“ hat?“
Auch abseits der Debatten um §219a und §218 sowie das Recht auf Selbstbestimmung ist dieser Kommentar sehr aufschlussreich. Er beschreibt anhand eines Beispiels die Macht von Sprache und derer, die sie zu nutzen wissen. Gesellschaftlich gesehen sollten wir uns (vielleicht heutzutage noch einmal wieder verstärkt) mit Sprache und der Tonalität von Debatten, aber auch mit der Frage, wie eigentlich moralische oder ethische bis hin zu ideologischen Vorstellungen durch Sprache transportiert werden, beschäftigen.
Beeinflusst die Sprache das Denken? Oder die Gedanken das Sprechen? Oder anders gesagt: Schafft Sprache Wirklichkeit oder Wirklichkeit Sprache?
Was meint ihr?