[HateSpeech] Hass und Mitgefühl im Netz: „Digitale Verrohung“ von Gina Schad
Wir spüren es alle immer wieder: Besonders im Internet scheint die Kommunikation zu verrohen. Doch stimmt dieses gefühlte Wissen überhaupt? Und wenn ja, woran liegt diese Verrohung? Die Medienwissenschaftlerin Gina Schad hat sich damit näher beschäftigt.
Digitale Verrohung von Gina Schad
Die Medienwissenschaftlerin hat sich mit dem Internet als Kommunikationsraum auseinander gesetzt. Mit theoretischen Hintergrund, vielen Literaturhinweisen und Beiträgen aus Interviews beschäftigt sie sich mit der Frage: Verroht die Gesellschaft im Netz?
Die überraschende Antwort lautet: Nein! Mitgefühl und Empathie werden im Netz genauso stark zum Ausdruck gebracht wie Hass und Kritik. Wenn nicht sogar stärker. Sie fallen jedoch mitunter weniger auf und so entsteht ein Bild von einem verrohten Umgang im Netz. In ihrem Buch fordert sie die Nutzer auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen: Einen guten Umgangston im Netz zu finden, dafür sind wir alle verantwortlich. Gleichzeitig wirbt sie für eine neue Form von Medienkompetenz. Diese müssten nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern gleichsam Erwachsene erlernen. Das Internet als Kommunikationsraum zu verstehen ist elementar für ein sicheres Bewegen im Netz.
Mitgefühl und Hass – in der Waage?
Interessant fand ich den großen Stellenwert, der dem Mitgefühl zugewiesen wird. Hatte ich mich doch bisher eher auf die negativen Aspekte konzentriert, so zeigt Schad, dass das Internet auch sehr positive Auswirkungen hat. Leider bleiben die beiden Bewegungen im Netz, Mitgefühl zu zeigen und Hasskommentare zu schreiben, voneinander getrennt. Sie exisitieren nicht ausgewogen nebeneinander, sondern eher in verschiedenen Welten oder Blasen. Die Frage, warum zwar einerseits viel Mitgefühl im Netz herrscht, andererseits so wenige gegen Hass im Netz aufstehen, wird im Buch leider weder gestellt noch angedeutet. Ob nun Unwillen der Nutzer vorliegt oder sich keine Handlungsmuster erkennen lassen, wird nicht beleuchtet.
Brauchen wir eine neue Form von Medienkompetenz?
Das Internet ist heutzutage Kommunikationsraum und gleichzeitig Kommunikationsmittel. Der Umgang damit will gelernt sein. Dazu gehört neben einem grundlegenden Verständnis für Algorithmen auch eine neue Form von Medienkompetenz. Das Internet als Kommunikationsraum bietet eine größere Freiheit seine Meinung zu äußern. Gleichzeitig geht damit nach Schad auch eine größere Verantwortung einher. Diese Verantwortung müssen Kinder und Jugendliche erlernen – aber ebenso Erwachsene. Als Erwachsener den Internetraum zu betreten ist gar nicht so einfach, auf der einen Seite ist man sehr aufgeklärt und kann erwachsen agieren, auf der anderen Seite muss man Mechanismen und Kommunikationston neu erlernen.
„Ferner ist beim digitalen Datenaustausch zu berücksichtigen, dass Erwachsene als Vorbilder im Umgang mit den neuen Geräten überwiegend ausfallen, da sich Jugendliche mit Apps und Tools meist besser auskennen als ihre Eltern“
Digitale Verrohung, Seite 140
Hier legt Schad einen großen Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Verantwortung der Nutzer. Denn natürlich können Firmen wie Facebook oder Twitter von „oben“ Community-Standards einführen und sie könnten beileibe mehr dafür tun, diese umzusetzen. Aber wenn nicht die Nutzer selbst ausfallendes Verhalten anderer Nutzer sanktionieren, wenn keinerlei gesellschaftlicher Sanktionen spürbar sind, dann ändert sich nichts. Hater werden sich allenfalls als institutionelle Opfer darstellen, deren Meinung unterdrückt wird und sich als Vorreiter einer schweigenden Mehrheit wähnen. Widerspruch muss also ebenso von Nutzern wie von Institutionen und Firmen artikuliert werden.
Wer sollte Digitale Verrohung lesen?
Digitale Verrohung ist zwar ein Sachbuch, jedoch beschreibt Gina Schad sehr anschaulich und leicht verständlich. Es gibt einen großen Anhang mit Literaturhinweisen und den im Buch immer wieder erwähnten Interviews. Gleichzeitig lässt sich auch nur der reine Text lesen und nachvollziehen. Wer mehr über Hass, Moral und Mitgefühl im Internet wissen möchte und nach theoretischem Input sucht, dem empfehle ich dieses Buch. Auch erste Ansätze für Lösungen oder Handlungsanweisungen gegen Hass im Netz werden gegeben.
Das Buch
Digitale Verrohung. Was die Kommunikation im Netz mit unserem Mitgefühl macht von Gina Schad
erschienen bei Goldmann
2 Kommentare
Sarah | Pergamentfalter
Hallo Jennifer,
das Buch klingt sehr interessant!
Was du in der ersten Hälfte von der Autorin wiederholst – dass man das Negative stärker wahrnimmt als das Positive – erinnerte mich so ein bisschen allgemein an den Journalismus. Dort wird, egal ob in Print, TV, Radio o.a., oft von Verbrechen oder anderen negativen Dingen berichtet, was ebenfalls den Schein der Verrohung weckt. Ich hab vor ein oder zwei Jahren mal einen Bericht gesehen, in dem anhand von Straßenbefragungen festgestellt wurde, dass Menschen das Gefühl haben, in immer unsichereren Zeiten zu leben, dabei ist es objektiv nicht unsicherer, es wird nur mehr über Krisen und Berichte auf immer mehr medialen Kanälen berichtet. Weiß leider nicht mehr, wo der Bericht lief, aber daran musste ich hier bei deinem Text direkt denken.
Den Vorschlag für eine neue oder veränderte Medienkompetenz finde ich gut. Wobei ich denke, dass Medienkompetenz überhaupt erst einmal überall ankommen müsste. Ich weiß nicht, ob sich das mittlerweile verändert hat, aber solange ich in der Schule war und auch später, als ich mit Schülern gearbeitet habe, wurde sich kaum mit Medienkompetenz in den Schulen beschäftigt, was eigentlich längst der Fall sein müsste. Ich kenne ein paar Inhalte der Medienkompetenz und wie sie umgesetzt werden (oder auch nicht) aus einem Kurs der sozialen Arbeit: Die Methoden, auch um Verrohung zu vermindern und mit Hass im Netz umzugehen, gibt es längst, aber es wird bislang einfach nicht genug umgesetzt.
Liebe Grüße
Sarah
Jennifer
Liebe Sarah,
ja, in anderen Medien lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten. Genauso wie der Umgangston auch außerhalb des Netzes rauer wird. Ich kann auch mal schauen, ob ich dir dazu noch Literatur schicken kann, wenn du Interesse daran hast.
Medienkompetenz herzustellen wird wahrscheinlich wirklich eine Jahrhundertaufgabe. Es reicht ja von technischem Verständnis (wie funktioniert Technik, Internet, Algorithmen, usw.) bis zu einer Form von „Wer spricht, kann ich das glauben“ und „Wie kann ich es überprüfen“. Ein wahnsinnig spannendes Gebiet, wenn auch ein riesiges. Und das Entscheider zum Teil selbst nicht die Kompetenz haben, um eine Richtung zu weisen (ich sage nur Digitalministerin) macht den ganzen Prozess auch nicht einfacher.
Ich bin sehr gespannt, wie es in dieser Richtung weitergeht. Denn wirklich angekommen ist das Digitale Zeitalter ja noch nicht in allen Bereichen…
Dass es Methoden gegen Hass im Netz gibt, stimmt natürlich. (Und damit sind mitnichten nur Gesetze gemeint, denn davon werden zu wenige im Internet umgesetzt) Aber an der Umsetzung hapert es gewaltig und ich hoffe, dass sich da noch vieles bewegt.
Viele Grüße und danke für dein fleißiges Mitlesen 😉
Jennifer