Kann man der Trauer davonrennen? – „Laufen“ von Isabel Bogdan
CN: Trauer, Tod, Suizid, Depression
Mit Der Pfau hat sich Isabel Bogdan bereits einen Namen gemacht. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht an die amüsante Geschichte um ein Schloss voller verrückter Workaholics und den noch viel verrückteren Pfau, der so einige Probleme auslöste. Vor kurzem gab es auch eine Literaturverfilmung, die in ausgewählten Kinos lief. Davon abgesehen, dass Filme mit deutschen Schauspielern immer etwas speziell sind, hat der Film mich tatsächlich gut unterhalten.
Da ich Der Pfau damals bereits vorgestellt hatte, habe ich von der Autorin bzw. dem Verlag im Auftrag der Autorin unverhofft ein kostenfreies Leseexemplar zugeschickt bekommen. Das war allerdings bereits im Jahr 2019 als der Roman erschien. Auch wenn ich Isabel Bogdans Schreibstil sehr mag, hatte mich das Thema in Laufen zunächst abgeschreckt. Am Ende habe ich dann aus Neugier doch einmal hereingelesen und bin froh, dass ich dem Buch eine Chance gegeben habe.
Laufen von Isabel Bogdan
Was tun, wenn der geliebte Partner verstirbt und die eigene kleine heile Welt zusammen bricht? Wie überwindet man die Trauer und kämpft sich zurück ins Leben? In diesem Roman geht es um Trauer, eine Trauer der man nicht davonlaufen kann, weil sie immer Teil von einem bleibt. Und dennoch geht das Leben auch nach der Trauer weiter. Und nach und nach wird aus dem Weglaufen ein Laufen zurück ins Leben.
„Ein paarmal hätte ich beinahe verwitwet irgendwo angekreuzt, denn so fühlt es sich an, selbstverständlich bin ich verwitwet, ich war richtig wütend darüber, dass ich nicht verwitwet ankreuzen durfte, bloß weil wir nicht verheiratet waren, ich fühle mich aber verwitwet, das muss man doch ankreuzen können. Ledig, was für ein Unsinn, ich bin doch nicht ledig, das klingt ja wie Single, als wäre ich auf der Suche, ich bin auf der Suche, ich bin verloren. Verwitwet und verloren.“
Laufen von Isabel Bogdan, Seite 22
Mit langen, verschachtelten Sätzen, mit denen sich die Geschichte nach und nach entblättert, folgt man im Roman der namenlosen Protagonistin. Zunächst beginnt sie zu Joggen, weil sie vor ihren Gedanken und ihrer Trauer davon läuft, doch nach und nach wird das Laufen zur ganz eigenen Trauerbegleitung. Und mit jedem Schritt, den sie tut, läuft sie zurück in ihr Leben. Ein Leben, das von Erinnerungen und der Vergangenheit geprägt ist, das aber dennoch weitergeht, auch wenn das zunächst unmöglich scheint
Zwischen Traurig- und Leichtigkeit
Auch wenn es fast unmöglich scheint, schafft Bogdan es dem eigentlich so traurigen Thema eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen. Der ganze Roman ist als innerer Monolog verfasst, sodass wir die gesamte Zeit hautnah an den Gefühlen der Protagonistin sind. Allerdings folgen wir der Frau stets bei ihrer Joggingrunde, sodass ihre Gedanken meist ein wilder Knoten aus verschiedenen Themen sind. Während die Trauer zunächst durch die körperliche Anstrengung verdrängt wird, entblättert sich im Laufe der Zeit die gesamte Geschichte: Wir folgen der Erinnerung an die gemeinsame Zeit, die guten wie auch die schlechten Zeiten, und an das Ende. Da der Roman 1 Jahr nach dem Trauerfall beginnt, erleben wir auch die Beerdigung und alles damit einhergehende im Rückblick.
Allerdings geht es am Ende nicht nur um die eigene Verarbeitung der Trauer. Vielmehr beschreibt die Protagonistin auch wie sie die Reaktion der Gesellschaft auf ihre Trauer wahrnimmt bzw. wie diese Reaktion sie mitnimmt. Das Zurück-zum-Alltag und das Kannst-du-nicht-langsam-damit-Abschließen von Familie und Freunden, aber auch das Verdrängen der Person, was für den Trauernden nicht möglich ist. Immer wieder bringen Jahrestage oder bestimmte Erinnerungen, mal ausgelöst durch Ereignisse, mal durch Gegenstände, die Trauer wieder zurück. Ganz generell verschwindet die Trauer ja auch nicht, sondern verblasst nur im Laufe der Zeit.
„Wir wollten tauchen lernen, das kann ich unmöglich ohne dich tun, du bist weg, und das Tauchen ist weg, bevor es überhaupt da war, du hast so viel mitgenommen, so viele Orte, an die ich nicht mehr gehen kann, Dinge, die ich nicht mehr tun, und Musik, die ich nicht mehr hören kann, alles hast du mitgenommen, wenn ich einen Buckelvolvo sehe, sehe ich dich darin sitzen und bin für den Rest des Tages wie gelähmt, wie soll denn das gehen, wie soll ich denn Pläne machen, wie soll ich denn etwas wollen, wie soll ich Spaß haben, wie soll ich überhaupt leben.“
Laufen von Isabel Bogdan, Seite 79
Wer mit den Themen Tod und Trauer nicht gut umgehen kann, der sollte dieses Buch dennoch mit Vorsicht anfassen. Weil ich mich selbst in einer familiär bedingten Trauerphase befand, konnte ich das Buch sehr lange nicht lesen, weil ich mich dem Thema nicht gewappnet fühlte. Trotz des wunderbaren Schreibstils und der sehr gelungenen literarischen Umsetzung musste ich mehrere Male ansetzen um dieses Buch überhaupt zu beginnen. Am Ende war ich dennoch sehr froh, die Protagonistin bei ihrem Trauerprozess verfolgen zu können, denn Bogdan schafft es meisterlich Traurigkeit mit Leichtigkeit zu vermischen. So ist Laufen am Ende trotz allem ein Roman, der hauptsächlich mit sprachlicher Brillanz unterhält und zugleich auch ernste Themen mit einer Alltäglichkeit bespricht.
Fazit: Mit sprachlicher Leichtigkeit und einer in innerem Monolog verschlungenen Geschichte entblättert sich dieser Roman über das Laufen und das Trauern. Die Mischung aus leichter Sprache und ernsten Themen verbindet sich, bis die Trauer erträglich wird. Isabel Bogdans Erzählungen sind immer eine Empfehlung!
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Laufen von Isabel Bogdan
Erschienen im September 2019 als Hardcover
Seit Februar 2021 auch als Taschenbuch erhältlich
208 Seiten (Hardcover)
Kiepenheuer & Witsch
Dieses Buch habe ich als kostenfreies Leseexemplar zugeschickt bekommen. Vielen Dank!