"Der Leselebenstintensee" von Giwi Margwelaschwili
Bücher in Büchern,  Rezension

Lesen über Buchfiguren: „Der Leselebenstintensee“ von Giwi Margwelaschwili

Was machen eigentlich die Figuren aus unseren Büchern während sie nicht gelesen werden? Und sind sie sich ihrer Fiktionalität bewusst? Gigi Margwelaschwili legt mit dem Leselebenstintensee einen metafiktionalen Roman vor bei dem mir nicht nur einmal der Kopf schwirrte beim Lesen. Dennoch eine absolute Empfehlung alleine schon für die grandiose Idee, die wohl jeden Buchliebhaber begeistert!

Der Leselebenstintensee von Gigi Margwelaschwili

Der Bergsteiger Karl ist entsetzt als eine Gruppe bekannter Bergsteiger ihm von einem gar wahnwitzigen Vorhaben erzählt: Sie möchten hoch in die Buchberge steigen um von der Spitze des höchsten Berges den Leselebenstintensee, den Ursprung ihrer aller Welt, zu sehen. Und mit etwas Glück sogar die Nasenspitze ihres Schöpfers, des Autors, im Himmel erblicken. Wäre dies nicht grandios? In vielen inneren Monologen sowie Zwiegesprächen mit anderen Figuren versucht Karl das Vorhaben zu durchdringen und den anderen ihre Idee auszureden, bis er sich schließlich, gezwungenermaßen, zur Teilnahme überreden lässt. Doch was erwartet die Gruppe auf der Spitze des Berges wirklich?

Thomas Mann lässt grüßen

Dieses schmale Büchlein hat es in sich: Margwelaschwili lässt hier seine Figuren über den Sinn ihres Seins nachdenken und nimmt den Leser hautnah mit. Zunächst philosophiert Karl im langgezogenen monologhaft erscheinenden Dialog mit Doktor Behrens über das (Un-)Wissen der Buchweltpersonen über ihr Buchweltpersonensein. Nach langem, wirklich langem, hin und her lässt Karl sich schlussendlich doch überreden an der wahnwitzigen Expedition teilzunehmen, wenn auch nur, um weiterhin „realistisch“ auf seine Mitbergsteiger einzureden. Nur um sich flugs mit dem Autor höchstselbst konfrontiert zu sehen, der sich selbst zur Buchperson gemacht und die Expedition anführend geschrieben hat.

Während die Gruppe immer höher in die Buchweltberge steigt, die Kapitel immer kürzer werden und das Tempo rasanter spitzt sich die Expedition zur absoluten Seins-Frage der Manuskriptweltwirklichkeit zu. Was, wenn das Ansinnen so abstrakt ist, dass es der Leserschwindsucht anheim fällt und die eben noch gelesen werdend lebenden Buchpersonen einen grausamen Lesertod sterben? Und ja, genau so, wenn nicht noch verschachtelter, liest sich der Roman. Nicht ohne Grund musste ich beim Lesen mehr als einmal pausieren, um den gesamten Absatz noch einmal zu beginnen.

Insgesamt also, nicht nur aufgrund der Höhe, eine absolut schwindelerregende Lektüre, aber für Bibliophile wohl ein einzigartiges Lesevergnügen! Gespickt mit herrlichen Zitaten über (fehlende) Leser, (wahnwitzige) Autoren, (unwilligen) Buchfiguren und einigen spannenden Seins-Fragen rund um die Buch- und die Realwelt. Man sollte beim Lesen allerdings mehr als nur halbwach sein, zum Einschlafen ist dieses Buch aufgrund der ewig langen Sätze, der metahaften Themen und der komplexen Wortkreationen (wie Manuskriptweltwirklichkeit) auf keinen Fall geeignet. Zum Verschenken für literaturaffine Buchliebhaber dagegen umso mehr! Und dabei unterstützt man zugleich auch noch einen unabhängigen Verlag, was will man denn als Leser mehr?

Fazit: Ein komplexes Buch über das Sein oder Nicht-Sein von Buchpersonen, mit einer Prise Thomas Mann und voller unterhaltsamer bibliophilosophischer Mono- wie Dialoge. Nichts zum Einschlafen, aber eine anregende Lektüre für Literaturaffine. Lese- und Schenkempfehlung!


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Der Leselebenstintensee von Giwi Margwelaschwili
Illustrationen von Katrin Funcke
Hardcover
384 Seiten
Erschienen im August 2021
Verbrecher Verlag

2 Kommentare

  • Tina

    Hallöchen Jenny,

    keine Bettlektüre? Man sollte wach sein? Tja, dann nix für mich. Keine Ahnung, wann ich mal wieder 100ig fit und wach zum Lesen sein werde. *lach
    Ich glaube, das Buch wäre für mich generell eine Challenge und das wäre zu schade.
    Deine meinung habe ich aber mit Begeisterung gelesen.

    Liebe Grüße
    Tina

    • Jennifer

      Liebe Tina,
      ja, leider ist das Buch super anspruchsvoll! Finde es auch ein bisschen schade, weil es so natürlich ne super kleine Zielgruppe hat. Andererseits natürlich cool, sowohl die Buchidee an sich als auch die Umsetzung 🙂
      Danke auf jeden Fall für dein Feedback! Freut mich, dass meine Rezension auch spannend ist, wenn man das Buch gar nicht lesen möchte
      Liebe Grüße
      Jennifer

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