Neurologie und Journalismus: „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang “ von Maren Urner | Sachbuch
Beim einem inzwischen weit zurückliegenden Besuch des Buchhändlers meines Vertrauens lockte mich Schluss mit dem täglichen Weltuntergang mit seinem Titel und dem Klappentext. Schlussendlich erhielt ich nicht ganz anderes als ich erwartet hatte, wurde aber keineswegs enttäuscht!
Online-Journalismus und ein zu viel an Nachrichten
Die Welt dreht sich immer schneller und mit dem Aufkommen des Online-Journalismus werden immer mehr und immer schneller Nachrichten veröffentlicht. Eilmeldungen verkünden vermeintlich bedeutende Ereignisse und manche Nachrichten werden gar als Nachrichtenschnipsel häppchenweise verbreitet. All diese Informationsflut kann einen schon überrollen – und ist auf Dauer gar nicht gut für die eigene Lebenseinstellung, wie Maren Urner behauptet. Die Neurowissenschaftlerin beschäftigte sich mit der gestiegenen Informationsmasse und deren Auswirkungen auf das menschliche Gehirn. Wichtig ist dabei zu sagen, dass es aktuell noch an langfristigen Einordnungen über die Auswirkungen von zu vielen (und insbesondere negativen) Nachrichten auf das Gehirn fehlt. Dennoch sind Urners Überlegungen nachvollziehbar und regen zum Nachdenken über den eigenen Medienkonsum ein.
Tägliche vs. monatliche Nachrichten
Ihre Grundthese lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Früher dauerte die Informationsweitergabe und -vermittlung deutlich länger und der Journalismus brachte eher langfristige Einordnungen von Ergebnissen. Natürlich gab es trotzdem tagesaktuelle Berichterstattung, aber die Themen wurden meist dennoch in langfristigen Zusammenhängen eingeordnet. Mit dem aufkommenden Online-Journalismus veränderte sich die Berichterstattungsweise hin zu einem eher auf Schnelligkeit ausgerichtetem Journalismus. Nachrichten werden nun eher schnellstmöglich verbreitet, die Einordnung erfolgt dann in einer eigenen Berichterstattung, die aber nicht mehr von allen Leser:innen wahrgenommen wird. Insbesondere im Vergleich mit monatlichen Zeitungen oder Zeitschriften fällt auf, dass eine langfristige Einordnung deutlich „positiver“ gestaltet ist. Damit ist gemeint, dass gesicherte Erkenntnisse vorliegen und bereits mögliche Lösungen diskutiert werden. Die Dauerbeschallung von täglichen Nachrichtenschnipseln dagegen, die aufgrund der dem Internet nötigen Schnelligkeit oftmals noch ohne Lösungen auskommt, löst in Leser:innen negative Gefühle aus. Diese andauernden negativen Gefühle wiederum seien aufgrund eines Gewöhnungseffektes nicht gut für das Gehirn, so Urner. Mit Lösungen ist im Übrigen nicht gemeint, dass Journalist:innen Lösungen für die geschilderten Probleme haben, sondern dass sie mit einer längeren Bearbeitungszeit eines Themas entsprechende Experten zitieren und dadurch verschiedene Perspektiven zu Wort kommen.
Beobachtungen meines eigenen Nachrichtenkonsums
Zum Teil kann ich Urners Überlegungen wohl deshalb so gut nachvollziehen, weil sie sich mit meinen privaten Beobachtungen über meinen eigenen Nachrichtenkonsum decken. Jetzt insbesondere, aber auch in den letzten Monaten insgesamt, konnte ich täglich Meldungen aus Politik und Wirtschaft lesen, die mich beschäftigten und an der Welt verzweifeln ließen. Im Nachhinein betrachtet hätte ich mir wohl zwei Drittel der Nachrichten ersparen können, da die entsprechenden Ereignisse oder die wichtigsten Zitate in der nachfolgenden Berichterstattung immer wieder wiederholt und auch eingeordnet wurden. Aber man bekommt im Internet ja allzu schnell das Gefühl, sich tagesaktuell über alles informieren zu müssen. In Zukunft werde ich versuchen mir die eine oder andere Lesezeit zu ersparen und lieber ein entspannendes Buch zu lesen!
Konstruktiver Journalismus als mögliche Lösung
Als möglichen Weg aus dem Teufelskreis der Informationsflut und Überinformation plädiert Urner in ihrem Buch für einen neuen „konstruktiven Journalismus“. Mit Hintergrundinformationen und deutlich ausführlicher als eine reine Nachrichtenmeldung, solle dieser die Leser:innen nicht alleine lassen, sondern möglichst viele Fakten und Informationen zu einem Thema bieten. Folgerichtig gründete Urner 2016 mit Perspective Daily ein Online-Magazin, welches ihrem Ansatz zum konstruktiven Journalismus folgt. Dieser wird auch im Buch vorgestellt und beschrieben, mitunter legt sie den Fokus ein wenig zu sehr auf dieses Thema, aber ich kann nachvollziehen, warum sie es tut. Doch auch ohne ein Abonnement einer Monatszeitschrift kann man seinen Medienkonsum umstellen und den durch Negativmeldungen ausgelösten Fluchtinstinkt im Gehirn bezwingen. So zeigt sie einige Wege und Verhaltensweisen auf, die man direkt am eigenen Medienverhalten überprüfen kann und gibt zum Schluss 7 Lektionen als Rüstzeug gegen die tägliche Informationsflut.
Fazit: Wer sich für die Themen Journalismus und Informationsverarbeitung interessiert, wird sicherlich seinen Spaß an dem Buch haben. Nachvollziehbar beschrieben und mit interessanten Fakten erklärt Urner uns einiges über das Gehirn. Leseempfehlung!
Dr. Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und gründete 2016 mit Perspective Daily eine Online-Magazin, das sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben hat. Seit 2019 doziert sie in Köln Medienpsychologie.
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Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren von Dr. Maren Urner
222 Seiten, Taschenbuch
erschienen im Juni 2019
Droemer