Religion trifft Kapitalismus: "Gott höchstselbst" von Marc-Antoine Mathieu | Graphic Novel
Rezension

Religion trifft Kapitalismus: „Gott höchstselbst“ von Marc-Antoine Mathieu | Graphic Novel

Keine ganz leichte Kost: Diese Graphic Novel wirkt nur auf den ersten Blick humoristisch und leicht, so ganz nebenbei wirft sie nämlich die tiefgehenden Fragen über Religion und Glaube auf. Und dabei geht es am Ende nicht nur um die Frage der Existenz Gottes, sondern auch über die Verantwortung und Schuld der Menschheit.

Gott höchstselbst

Gott höchstselbst ist auf die Erde gekommen – doch seine Ankunft ruft jede Menge Fragen auf: Während die einen sich weitreichende Erkenntnisse über die Naturgesetze versprechen, fragen andere nach der Verantwortung Gottes für das Leid auf der Welt. Während allerhand Gruppen die Ankunft Gottes ausschlachten und verkommerzialisieren, droht Gott ein weitreichender Gerichtsprozess. Es ist die Frage zu klären, ob Gott fahrlässigerweise seine Schöpfung sich selbst überließ – oder ob er etwa gar nicht so allmächtig ist, wie einige glauben? Und während Richter, Geschworene und allerhand Experten debattieren, nimmt die ganze Welt als Zeuge des Geschehens teil.

Religion trifft Kapitalismus: "Gott höchstselbst" von Marc-Antoine Mathieu | Graphic Novel

Gottes Sein oder Nicht-Sein

Die Grundidee bzw. -frage, nämlich was Gottes Ankunft auf der Erde für die Menschheit bedeutet, wird auf wunderbar ironische Weise skizziert: Während Medien, Marketing und Wirtschaft einen riesigen Rummel um Gott starten, machen sich die Wissenschaftler daran Gott seine eigene Schöpfung bzw. ihr Verständnis dessen zu erklären. Und allzu bald streiten sich natürlich Theologen und Atheisten, Gläubige und Kreationisten und was es nicht alles gibt über die Bedeutung Gottes bzw. seine vorhandene oder nicht vorhandene Wirkmacht.

Als dann allerhand Gruppen einen Prozess gegen Gott anstrengen wird es besonders skurril. Denn seine Verteidiger können ja kaum auf fehlende Macht Gottes plädieren, um seine Untätigkeit bei so mancherlei Leid zu erklären. So wird aus dem Gerichtsprozess selbst eine anhaltende Debatte über Verantwortung und Schuld, über den freien Willen und Vorherbestimmung. Und ausgerechnet ein Supernetzwerk gespeist aus den gesammelten Daten der Menschheit soll die Frage klären, ob Gott nun eigentlich über allem stehend ist.

Herrlich skurril

Die ganze Geschichte mutet herrlich skurril an, zudem punktet die Erzählung mit vielen ironischen Spitzen. Besonders schön fand ich die Darstellung Gottes, stets von hinten bzw. durch eine Glasscheibe, sodass Gottes Anlitz in der gesamten Graphic Novel für den Lesenden eigentlich nie direkt sichtbar wird. Da wirkt der Ausruf „Originell. Man sieht Gott selten von hinten“ in einer Gott gewidmeten Kunstausstellung umso mehr.

Religion trifft Kapitalismus: "Gott höchstselbst" von Marc-Antoine Mathieu | Graphic Novel

Neben der naheliegenden Schuldfrage bzw. der Auseinandersetzung mit dem (un)freien Willen fand ich besonders die Auseinandersetzung mit der Person Gottes interessant. Kann der Mensch Gott als Wesen überhaupt erfassen oder ist nicht gerade die Unmöglichkeit Gott zu begreifen ein Wesen des Glaubens an ihn? Und wenn es dem Mensch nicht gelingt, würde es einer künstlichen Intelligenz bzw. einer Maschine gelingen?

Neben all diesen Fragen ist die Geschichte unterhaltsam und zugleich tiefsinnig. Mehr als einmal musste ich eine Seite noch einmal lesen, um die Zusammenhänge bzw. Anspielungen in Punkto Religion, Theologie oder Naturwissenschaft zu verstehen. Nichtsdestotrotz mochte ich die Idee und Umsetzung dieser doch spannenden Erzählung.

Fazit: Unterhaltsam und zugleich tiefsinnig stellt diese Graphic Novel Fragen über Gott und die Welt. Wunderbar verworren und mit jeder Menge ironischer Spitzen führt Mathieu durch eine wilde Geschichte über den freien Willen der Menschen und einen untätigen Gott. Nicht nur für Gläubige interessant (vielleicht für die am allerwenigsten)


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Gott höchstselbst von Marc-Antoine Mathieu
Aus dem Französischen von Kai Wilksen
Handlettering von Andreas Michalke
128 Seiten, schwarzweiß
Erschienen im Juni 2010
Reprodukt

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