[Rezension] Geschlecht, Macht & Hierachie: „Wenn Männer mir die Welt erklären“ von Rebecca Solnit
Seit ich Margarete Stokowski’s Untenrum frei gelesen habe, verspüre ich das Bedürfnis mehr über feministische Themen zu lesen. Zwar habe ich in der Uni bereits ein wenig mit feministischer Theorie zu tun gehabt. So interessant diese aber auch ist: Sie gibt mir nicht die richtigen Argumente zur Diskussion. Wenn Männer mir die Welt erklären lockte mich alleine schon aufgrund des Titels, zudem habe ich vorab einiges Positives gehört.
Wenn Männer mir die Welt erklären
Ein Mann, der mit seinem Wissen prahlt, in der Annahme, dass seine Gesprächspartnerin ohnehin keine Ahnung hat – jede Frau hat diese Situation schon einmal erlebt. Rebecca Solnit untersucht die Mechanismen von Sexismus. Sie deckt Missstände auf, die meist gar nicht als solche erkannt werden, weil Übergriffe auf Frauen akzeptiert sind, als normal gelten. Sie schreibt über die Kernfamilie als Institution genauso wie über Gewalt gegen Frauen, französische Sex-Skandale, Virginia Woolf oder postkoloniale Machtverhältnisse. Leidenschaftlich, präzise und mit einem radikal neuen Blick zeigt Rebecca Solnit auf, was längst noch nicht selbstverständlich ist: Für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gilt es, die Stimme zu erheben.
Rebecca Solnit hat über mehrere Jahre verteilt einige feministische Essays geschrieben. Diese wurden in Teilen auch bereits anderweitig veröffentlicht und lassen sich alle einzeln lesen. Jeder Essay für sich bietet schöne Nachdenk-Momente. Ich persönlich habe die Essays hintereinander weg gelesen, da ich das Buch, wie seinerzeit bei Stokowski, direkt weiter an eine Freundin verleihen wollte. Zwar ließ ich mir nach jedem Essay eine kurze Denkpause, doch fallen einem natürlich unweigerlich Zusammenhänge auf. Solnit schreibt und beschäftigt sich vor allem mit amerikanischen Verhältnissen und einige Beschreibungen können wir wohl nicht nachvollziehen, da sich nicht alle Zahlen und Denkweisen direkt auf Deutschland oder zumindest Europa übertragen lassen. Dennoch bleibt natürlich: Die Strukturen, von denen sie spricht, sind die selben. Und so bietet die Lektüre doch einige Aha-Momente auch für ein deutsches Publikum.
Bereits der Einstieg zeigt, warum wir Feminismus auch heute noch dringend brauchen: Ein Mann erklärt in bestem Glauben der geistig Überlegene zu sein einer Frau auf einer Party eine bemerkenswerte Neuerscheinung. Das dieses Buch von ebenjener Frau geschrieben wurde, für ihn undenkbar und obwohl von Anwesenden darauf hingewiesen wird, fast schon nebensächlich. Dass diese Denkweisen und Strukturen so tief eingegraben sind, dass man sie gerne übersieht, ist mit einer der Gründe warum wir heute immer noch so stark gegen sie ankämpfen müssen. So geben die Essays viele Anregungen über ganz Alltägliches und die dahinter versteckten Strukturen nachzudenken! Da die Texte teilweise in großem zeitlichem Abstand geschrieben wurden, lassen sie sich auch beliebig einzeln lesen. Ich glaube aber, dass man größere Freude mit den Essays hat, sofern man sie hintereinander liest. Denn dadurch springen einem wiederkehrende Themen und Denkweisen erst so richtig entgegen. Auf bravouröse Weise verwebt Solnit die Themen Geschlecht, Macht und Gewalt ineinander und nimmt vor allem strukturelle Geschlechtshierarchie in den Fokus. Das Buch erklärt Anfängern zwar nicht den Feminismus, aber nichtsdestotrotz gehört Solnits Buch für mich zu den denkwürdigeren feministischen Werken. Denn sie schafft etwas viel wichtigeres: Sie regt an, über die gesellschaftliche Unterscheidung von Geschlecht nachzudenken!
Mein persönlicher Lieblingsessay war Ein Lob der Bedrohung. Was eheliche Gleichstellung wirklich bedeutet mit vielen klugen Gedanken zu einer gleichberechtigten Beziehung. In diesem Zuge deckt Solnit auch auf, was häufig in der Kritik der sogenannten Homo-Ehe eigentlich impliziert wird: Dass nämlich in einer Beziehung ein Machtgefälle herrschen solle und dieses Machtgefälle in einer Ehe mit zwei Personen gleiches Geschlechtes naturgemäß nicht vorliegen kann. Die gleichgeschlechtliche Ehe wird zum Bild der absoluten Gleichberechtigung und dadurch erklärt sich auch die (patriarchal motivierte und) politisch artikulierte Kritik an dieser Beziehungsform. Dieser Gedanke war für mich Augen öffnend, beschreibt er doch einerseits, was schief läuft in vielen Beziehungsformen (auch in Buch und anderen Medien im übrigen), und macht andererseits klar, warum so wenig Empathie für den Wunsch nach gleichgeschlechtlicher Ehe gibt: Weil es nämlich niemals darum ging, dass Personen ihre Gefühle füreinander ausdrücken, sondern diejenigen, die eine andere Beziehungsform für sich wünschen, Angst haben der Tatsache ins Auge zu blicken, dass es in ihrer eigenen Form der Lebensführung ein Ungleichgewicht gibt (ob dieses sie nun begünstigt wie die Männern oder benachteiligt wie die Frauen).
Fazit: Wunderbare Essays mit jeder Menge kluger Gedanken, eine schöne Empfehlung für alle, die offen über hierarchische gesellschaftliche Strukturen nachdenken möchten. Leseempfehlung!
Ebenfalls absolut empfehlenswert: Untenrum frei von Margarete Stokowski
Das Buch
Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit
erschienen 2017
btb
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