[Rezension] Leidenschaft für Orchideen: „Orchis“ von Verena Stauffer
Orchis ist eines von fünf Büchern, die ich im Rahmen der Jury-Bewertung für den Bloggerpreis Das Debüt gelesen habe. Meine Gesamtbewertung und auch den Vergleich der Bücher veröffentliche ich ab dem 6. Januar.
Orchis von Verena Stauffer
Im 19. Jahrhundert begibt sich der Botaniker und Orchideenforscher Anselm auf die Suche nach besonderen Orchideen. In Madagaskar wird er fündig, doch sein Glück hält nur kurz: Auf hoher See verliert er einen Großteil seiner entdeckten Orchideenpflanzen und in der Folge seinen Verstand. Der Aufenthalt in der Nervenheilanstalt, der Versuch zurück in die Gesellschaft zu finden und schlussendlich wieder die Jagd nach neuen bislang unentdeckten Orchideensorten lassen ihn zwischen Normalität und Wahn schwanken.
Kolonialismus und Nicht-Wahn
Verena Stauffers Debüt wurde vielfach gelobt für ihr „besonderes Gespür für die Wahrnehmungen und Empfindungen ihrer Figuren“ und ihre sinnlichen Schilderungen des fernen Ostens [Quelle: Verlag]. Davon konnte ich beim Lesen leider wenig feststellen! Besonders der Anfang der Erzählung ist geprägt durch einen triefenden Kolonialismus, der mir beim Lesen leider sämtliche Freude raubte. Eingeborene als tanzende Wilde um ein Feuer? Darstellungen von obskuren Totenriten und seltsamen Essgewohnheiten? Vielleicht bin ich auch nur zu stark sensibilisiert um über solche Beschreibungen hinwegzulesen. Anselms Figur, die über den kompletten Roman einen beeindruckenden Spagat aus Hybris und Kleingeistigkeit hält, löst diese stark an koloniale Muster angelehnte Darstellungsweise zudem leider nicht auf, noch lassen sie sich komplett seiner Perspektive zuschreiben. Zwar erinnern die Beschreibungen an traumartige Sequenzen, doch von Wahn ist an dieser Stelle noch nicht die Rede. Mit den beginnenden Wahnvorstellungen Anselms dagegen setzt nicht wirklich eine bessere Beschreibung ein: Der Leser wird abwechseln mit Anselms Empfindsamkeiten und aus verschiedenen Außenperspektiven mit Eindrücken gefüttert, dass diese jedoch besonders einfühlsam seien, davon habe ich beim Lesen nichts festgestellt. Im Gegenteil bestand zwischen den Wahnvorstellungen Anselms und seinen Normalzuständen kein nennenswerter Unterschied. Wenn es dagegen das Ziel war, einen verwöhnten jungen Mann im 19. Jahrhundert, dessen Priviliegien des Elternhauses ihm eine gut siutierte Position verschaffen, zu zeigen, so wurde dies vollends erfüllt. Anselms Handeln soll wohl wahnhaft anmuten, stattdessen plätschert die Handlung allzu vorhersehbar dahin, sprachlich berührend für mich jedoch in keiner Weise. Von einem sich in Empfindsamkeiten steigernden Geist habe ich mir mehr erwartet – oder vielleicht gerade weniger?
Aus botanischer Perspektive ist der Roman sicherlich für Orchideen-Liebhaber interessant, viele verschiedene Orchideenarten werden erwähnt. Doch während die Orchidee im chinesischen Kulturraum historisch eher als Symbol für Liebe und Schönheit steht, wird die Symbolik hier literarisch zur Wahrheit umgewandelt. Das lässt auch Zweifel an der sonstigen Darstellung kommen, auch wenn einige bekannte Namen wie die des Naturforschers Carl von Linné verwandt werden. Schlussendlich handelt es sich um eine literarische Bearbeitung und keinen historischen Roman. Und so stellt sich mir die Frage, wohin Stauffer ihre Leser zu führen versucht. Um in die Sinnlichkeit des fernen Ostens einzutauchen gibt es hoffentlich geeignetere Romane. Ein Spiel mit der Wahrnehmung ihrer Figuren scheitert für mich schon an deren fehlender Individualität. Anselm, dessen Wahrnehmungen nicht zu trauen ist, ist die einzige halbwegs ausdifferenzierte Figur, alle weiteren verblassen vor farblosen Zustandsbeschreibungen und mühsamen Dialogen, die weder altertümlich noch sinnhaft erscheinen. Das einzige was sprachlich durchscheint ist die Leidenschaft für Orchideen.
Fazit: Konnte mich leider weder sprachlich noch inhaltlich berühren. Zu der fehlenden Tiefe der Figuren gesellten sich Kolonialismus und eine mühsam zu lesende Wahn-Beschreibung, die an Wahnsinn jedoch keineswegs erinnerte.
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Das Buch
Orchis von Verena Stauffer
256 Seiten, 22,90 Euro
Kremayr & Scheriau
Dieses ebook wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt!
5 Kommentare
Eva Jancak
Auch ein tolles Buch und sehr poetisch, allerdings ist es bei der starken Konkurrenz bei mir leider auf der Strecke geblieben!
https://literaturgefluester.wordpress.com/2018/04/08/orchis/
https://literaturgefluester.wordpress.com/2018/12/08/wuerfelspielereien/
Jennifer
Hi Eva,
ja, ich fand die anderen Bücher sprachlich bisher einfach besser! 🙂
Wobei ich mich mit der entgültigen Gewichtung noch etwas schwer tue…
VG Jennifer
Jennifer
Ich fand es ja leider gar nicht so poetisch. Mir hat da einfach die Sinnlichkeit in der Beschreibung der ostasiatischen Welt total gefehlt und der Rest, na ja… Kann man lesen, muss man aber meiner Meinung nach auch nicht. Vielleicht war ich angesichts der starken Konkurrrenz (die ich sonst wirklich gut fand) auch nur überkritisch…
VG Jennifer
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