[Rezension] „QualityLand“ von Marc-Uwe Kling
Ich habe die Känguru-Chroniken sowie die beiden Folgebände bis zum Abwinken gelesen und auch oft als Hörbuch gehört. QualityLand fand ich schon interessant, bevor ich den Klappentext überhaupt gelesen hatte. Daher ist diese Rezension nicht so unbefangen, wie ich sie sonst schreibe. Ich habe mich daher auch dafür entschieden, ein wenig mehr auf den Inhalt einzugehen, als eine klassische Rezension zu schreiben.
Wer eine sehr schöne Rezension lesen möchte, dem sei Kill Monotony ans Herz gelegt, die mir von Nicci empfohlen wurde!
Welcome to QualityLand!
Hier gibt es personalisierte Werbung. Wir wissen, was du willst, noch bevor du es willst. Wir nehmen dir jede Entscheidung ab. Jede. Das ist deine persönliche Freiheit … in QualityLand.
Peter Arbeitsloser hat ein Herz für nicht funktionierende Maschinen. Als Maschinenverschrotter kennt er sich aus und weiß, dass nicht alle Maschinen einer Abschaltung und der damit verbundenen Verschrottung emotionslos gegenüberstehen. Als er aufgrund eines Tages eine fehlerhafte Bestellung, die The Shop ihm automatisch zusandte, erhält, möchte er nur eins: Das ungewollt zugestelltes Produkt zurückgeben. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht, wenn doch Computer keine Fehler machen und die Zustellung einfach nicht ungewollt sein DARF, damit Profit und Wirtschaftsinteressen nicht beschnitten werden. Glücklicherweise ist er in seinem Kampf gegen das System nicht alleine, denn gutmeinende Maschinen unterstützen ihn. Derweil beginnt ein Roboter mittels künstlicher Intelligenz Wahlkampf für das höchste Amt im Landes zu machen. Aber kann eine Maschine bessere Entscheidungen treffen als ein Mensch?
Neue Art der Klassengesellschaft
Marc-Uwe Kling schreibt gewohnt spitzzüngig und kritisch, dennoch fehlt ihm sein ganz eigener Witz nicht. Schon alleine die beiden Versionen des Romans – eine weiße und eine schwarze – zeugen von seinem Humor. Da es in dem Buch um Individualisierung ginge, wollte er verschiedene Versionen anbieten – für mehr als zwei sei er aber zu faul gewesen [Nachweis]. Es gibt auch eine Website zum Roman, die einen kleinen Eindruck vermittelt, wie Nutzer sich in QualityLand wohl fühlen möchten. Denn die einzige Antwort in QualityLand für den einzelnen Nutzer lautet: Ok.
Im Trailer zum Buch sagt Marc-Uwe Kling, dass den Nutzern in QualityLand alle schwierigen Entscheidungen abgenommen werden. Tatsächlich ist dies nicht ganz korrekt, denn den Nutzern werden ALLE Entscheidungen abgenommen. Und das ist wirklich kein traumhafter Zustand. The Shop (der nur ein klitzekleines bisschen an Amazon erinnert) versendet alle bestellten Waren per Drohne. Nur, dass das System über Algorithmen berechnet, was Du als Nutzer bestellen möchtest. Ich frage mich, was das System macht, wenn das Konto leer ist. Auf Rechnung weiter bestellen? Sehr schön waren auch jeden Fall die Werbe-Einschübe, die sich in den beiden Ausgaben unterscheiden (die jeweils andere Werbung ist aber über die Website aufrufbar. Es entgeht einem also nichts ;)). Die Kapitel sind knackig kurz und für Leser der Känguru-Trilogie erst einmal ungewohnt, da zusammenhängend. Kling hat einen Roman mit verschiedenen Handlungssträngen geschrieben, die einzelnen Figuren erfüllen alle ihre jeweilige Funktion im Gesamtbild. So bekommt man einen guten Einblick in alle Klassen dieser Gesellschaft und auch in das Ungleichgewicht der Kräfte.
Worum geht es thematisch?
An verschiedenen Figuren der in Klassen eingeteilten Gesellschaft werden die Probleme der zunehmenden Verknüpfung von Daten und der Auswertung durch Algorithmen gezeigt. Dabei ist die Handlung auf einer oberflächlichen Art eigentlich gar nicht so tiefgründig. Dennoch wird eine kleine Dystopie unserer Daten-Zukunft entwickelt, bei der es im Kern um folgende Kritikpunkte geht:
- Konzerne/Firmen haben Daten über Nutzer, ohne das diese Nutzer die Daten kennen oder beeinflussen können (beispielsweise indem fehlerhafte Daten gelöscht werden können). Natürlich lassen sich diese Daten dann auch verknüpfen und aus den Verknüpfungen wiederum kann man die Nutzer noch stärker kategorisieren. Die Nutzer selbst haben natürlich keinerlei Einfluss und auch nur begrenztes Wissen über diese Datenmengen, die im Hintergrund analysiert werden.
- Eine neue Form von Klassengesellschaft, die verschiedenen „Klassen“ verschiedene Rechte zugesteht und Blasen schafft: Beispielsweise bekommt Peter Arbeitsloser nach seinem Abstieg unter die Level-10-Grenze nur noch sehr negative Werbung wie Alkoholwerbung und schlechtere Jobangebote (Das höchste Level ist 100, aber dies erreicht kaum jemand, das Level setzt sich aus deinen Daten zusammen, beispielsweise Freundschaften, Partnerschaft und Beruf, aber auch Popularität). The Shop schickt ihm freundlicherweise direkt Bier.
Diese Themen, die durchaus eng miteinander verknüpft sind, werden dabei von verschiedenen Blickwinkeln angegriffen: Peter Arbeitsloser gehört zweifellos zu den niedrigsten Figuren in diesem hierarchischem System. Er weiß am wenigsten, kann am wenigsten bewirken und ist dem System mehr oder weniger ausgeliefert. Sein Name setzt sich aus seinem Vornamen und dem Beruf seiner Eltern zum Zeitpunkt der Geburt auseinander, doch mit dem Nachnamen sind natürlich verschiedene Lebensentwürfe/-möglichkeiten bereits ausgeschlossen. Parallel zu dieser privaten Geschichte, die für sich genommen schon traurig genug anmutet, herrscht in QualityLand Wahlkampf: Erstmals stehen sich ein Android und ein menschlicher Politiker als Gegner um das höchste Amt des Landes gegenüber. Der Android hat einen bemerkenswerten Blick auf die gesamte QualityWelt, denn er ist so programmiert, dass er immer zum Besten der Menschen handelt. Eine Tatsache, die die meisten Menschen gar nicht wahrzunehmen scheinen. Sozialpolitische Veränderungen, die er verspricht, werden zum Teil mit Aggression von den Menschen zurückgewiesen. Auf der anderen Seite sind mit mehreren Politikern sowie Konzernbossen die Elite die eindeutigen Nutznießer eines solchen Systems, obwohl sie den kleinsten Bevölkerungsanteil stellen. Wobei die Politiker ja wenigstens demokratisch legitimiert sind, im Gegensatz zu Firmenchefs und -vorständen.
Während des Lesens hatte ich immer einen Vergleich im Kopf: Vor einer Weile habe ich mit einer Freundin den Film „The Circle„ gesehen, das Buch habe ich leider nicht gelesen. Ich fand jedoch, dass beide Werke eine ähnliche Kritik üben, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art. Bei The Circle überraschte mich besonders, mit welcher Selbstverständlichkeit Wirtschaft Politik macht. QualityLand war sicher um einiges witziger als The Circle, auf einer gewissen Weise ist das Buch jedoch auch ein wenig oberflächlicher. Ich selbst bin ja Kling-Fan, aber ich frage mich, was man von dem Buch hält, wenn man die Känguru-Werke nicht gelesen hat und nicht Marc-Uwe Klings Stimme im Kopf hat.
Kennt ihr QualityLand oder The Circle? Oder ähnliche dystopische Bücher, bei denen diese Themen verhandelt werden? Was haltet ihr von der darin steckenden Kritik? Macht ihr euch über Daten(schutz) und Vernetzung von Daten Gedanken oder interessiert euch dies nicht?
Weitere Meinungen
Einlesehorn – positiv
Meine Literaturwelt – positiv
Let’em eat books – positiv
Kleiner Komet – positiv
Leseratz – negativ
Papierstau Podcast – ein Podcast 😉
Hier geht’s zum Buch
QualityLand von Marc-Uwe Kling
erschienen am 22. September 2017
384 Seiten, 18 Euro
erhältlich in 2 Versionen
ISBN 978-3-550-050-152
4 Kommentare
letspolitalk
Schon irgendwie witzig – das lese ich gerade in unserer Schülerzeitung eine Rezension über Qualitiland, schalte den Rechner an und – oh eine Rezension über Qualityland! 😀
Schönen Text hast du dazu geschrieben 🙂
Ich denke, als Känguru-Chroniken-Leser muss ich mir das wirklich mal kaufen 😉
Jennifer
Haha, ja so läuft es manchmal. Sieh es als Zeichen an 😉
Das Hörbuch kann ich übrigens auch empfehlen. Da habe ich heute mit angefangen und es ist auch sehr gut. Mir sind jetzt schon superviele Anspielungen aufgefallen, die mir beim lesen entgangen waren.
VG Jennifer
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