[Rezension] Selbstdarstellung und sozialer Erfolg: "Super, und dir?" von Kathrin Weßling
Rezension

[Rezension] Selbstdarstellung und sozialer Erfolg: „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling

„Super, und dir?“ von Kathrin Weßling, zwei Rezensionen im Vergleich: Luise von aufgeblättert schrieb im Gegenzug, warum ihr das Buch nicht gefallen hat. Diese von uns so gewollte Gegenüberstellung unserer Rezensionen soll zeigen, das Geschmäcker zum Glück verschieden sind. Bildet euch eure eigene Meinung!


Der Selbstdarstellungsdruck in den sozialen Medien steigt zunehmend. Ob Beruf oder Privatleben – wir teilen alles und alles muss natürlich fantastisch sein. Genau diesen Teufelskreis aus Selbstoptimierung und Selbstdarstellung unterzieht Kathrin Weßling mit ihrem Buch Super, und dir? unter einen kritischen Blick.

Worum geht es in dem Buch?

Von außen betrachtet lebt Marlene Beckmann ein perfektes Leben: Sie ist intelligent, Jahrgangsbeste in der Schule und studiert was mit Medien. Nach ihrem Studium ergattert sie DEN Job, den sie immer haben wollte! Ein Volontariat in einer Social Media-Abteilung eines großen und hippen Arbeitgebers. Doch schnell wird offensichtlich: Es ist niemals alles perfekt und glückliche Selfies aus dem Fitnessstudio sind kein Zeichen von Sportlichkeit und Erfüllung sondern dem Drang im Vergleich mit anderen immer mehr zu leisten und besser zu sein. Alles ist ein gnadenloser Kampf um Aufmerksamkeit und Likes, alles muss öffentlichkeitswirksam mit Freunden und Fremden geteilt werden. Und das ist auf Dauer nicht nur wirklich anstrengend und ermüdend, sondern vor allem gefährlich für die eigene mentale Gesundheit!

Alles super?

Wir leben in einer Gesellschaft in der man mitunter den Eindruck erhält, dass der äußere Schein wichtiger ist als die eigene Wahrnehmung. Marlene Beckmann ist dabei nur eine Metapher für die Ambivalenz der aktuellen Jugend (plus junge Erwachsene, aber wo zieht man da die Grenzen?). Innerlich kämpft sie mit der Scheidung ihrer Eltern und der Notwendigkeit selbst zur Aufsichtsperson der eigenen Mutter, die an der Trennung zerbricht, zu werden. Äußerlich dagegen hat sie optimale Startvoraussetzungen ins Leben: Einen guten Abschluss und jede Menge Ehrgeiz. Diese Chance auf den richtigen, den perfekten Start, ins Berufsleben darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ob die eigene Arbeit Erfüllung bringt, einen Sinn hat oder auch nur simpel Spaß macht ist dabei gar nicht die Frage, solange nur das Prestige, die Wirkung nach außen stimmt. Langsam wächst beim Leser das Unbehagen, das Nacherleben der angespannten Situation in der Marlene sich befindet. Immer weiter puscht sie sich über ihre eigenen Grenzen und ihr eigenes Wohlsein hinaus. Denn die sich wie ein Zwang anfühlende Situation lässt sich überdecken mit glücklichen Selfies, die Augenringe lassen sich mit Concealer überdecken, Hauptsache das Bild stimmt.

Ich gehe auf die Toilette, die neben dem Konferenzraum liegt, ziehe mein Telefon aus der Tasche und tippe >>Damit das Mögliche entsteht, muss das Unmögliche versucht werden 🙂 (Hermann Hesse)<< und mache ein Spiegel-Selfie von mir, und dann poste ich das Bild und den Spruch auf Facebook und Instagram, und dann schaue ich zu, wie die Like-Zahl steigt, ich gucke einfach zu und aktualisiere immer wieder meinen Stream, und je mehr Likes und Herzen und Favs ich kriege, desto ruhiger werde ich, und dann schreibe ich Jacob, dass alles absolut super gelaufen ist.

Super, und dir?, Seite 122

Ob Marlene sich überhaupt noch im Spiegel sieht oder ob sie nur die Möglichkeiten der Selbstdarstellung wahrnimmt? Ein sehr plastisches Beispiel dafür, dass auch der Kick von Likes und Aufmerksamkeit der sozialen Medien heutzutage schnell zu einer Sucht werden kann.

P1030410

Das Individuum und die Gesellschaft

Diese zerstörerische Entwicklung hat nicht nur mit einem einzelnen zu tun, sondern mit der ganzen Gesellschaft. Niemals geht es nur um den Einzelnen, wenn alles, von Arbeit bis Privatleben, sich dem permanenten Vergleich mit anderen und der stets angestrebten Effizienz beugen müssen. Besonders perfide ist, dass man objektiv betrachtet stets zu (gesellschaftlich normiertem) positivem Verhalten konditioniert wird: Die eigene Fitness zu verbessern ist schließlich gut für die eigene Gesundheit. Was kann daran schon negatives sein? Marlene selbst ist so in ihrem Hamsterrad gefangen, dass sie den Druck zwar spürt, ihn jedoch als vollkommen normal empfinden und daher nicht gegen die Situation rebelliert. Immer tiefer gerät sie in den Sog der Selbstdarstellung und betäubt sich derweil mit Drogen, Alkohol und den naiven Träumen eines angenehmen Lebens, sobald man sich nur genug „bewiesen“ hat in einer Gesellschaft, die für Einzelschicksale keinerlei Mitleid erübrigt.

Für jedes Training erhalte ich Punkte, und die Temperatur auf dem Thermometer steigt. Ich bin bei >warm<<, weil ich es höchstens zweimal die Woche zum Training schaffe. Die App lobt mich trotzdem. [….] Meinen Fortschritt kann ich auf Facebook und Twitter teilen. Damit alle wissen, wie sportlich ist bin. Außerdem kann ich mich mit meinen Freunden vernetzen. wir können uns dann gegenseitig anspornen und loben. Das ist aber natürlich kein Wettbewerb, sondern Motivation und Spaß.

Super, und dir?, Seite 65

Marlene Beckmann, die im Buch durchweg wie eine Anfang Zwanzigjährige wirkt, ist übrigens 31 Jahre alt. Womit wir wieder bei der These wären, dass sich Jugend heute immer weiter nach hinten verschiebt, was ganz neue Formen von Adoleszenzromanen hervorgebracht hat.

Ein Buch wie ein Rausch

Ich selbst habe mir Super, und dir? in einer Lebensphase gekauft, in der ich selbst zwischen zwei stressigen Erfahrungen steckte, die mir alle Kraft raubten. Vermutlich habe ich mich deshalb umso mehr mit Marlene identifizieren können. Innerhalb von wenigen Tagen habe ich das Buch verschlungen und die eigene Beklemmung über diese selbstzerstörerische Situation noch lange in mir nachhallen spüren. Nun ist die Lektüre bereits gut ein halbes Jahr her und obwohl ich das Buch privat mehrfach empfohlen habe, ist es mir lange schwer gefallen eine dem Buch angemessene, eine perfekte, Rezension zu schreiben.

Fazit: Kathrin Weßling schreibt schonungslos offen über den gesellschaftlichen Druck zum perfekten Leben und den inneren Zwiespalt zwischen dem Selbst und der äußeren Darstellung. Ein Buch über Zwänge und krankhafte Selbstoptimierung. Beklemmend, aber absolut lesenswert!


Auch Luise von aufgeblättert hat sich Kathrin Weßlings Super, und dir? angesehen und sich dabei vor allem ein wenig mit dem Krankheitsbild Depression und der Darstellung im Buch befasst. Sie fand das Buch allerdings im Gegensatz zu mir eher schlecht:

„Marlene bleibt in den Zwängen der Gesellschaft gefangen und verliert in ihrem Charakter an Tiefe. Die Hintergründe aus Marlenes Kindheit scheinen zudem zu vorhersehbar und klischeehaft. Kathrin Weßlich schreibt direkt und einfach und das ganz bewusst. Sie stellt schonungslos eine Realität dar, die so auch existiert. Obwohl die Geschichte leider nicht viel Neues bietet, so hat sie eine wichtige Kernaussage: Burn out, Depressionen und Drogenabhängigkeit sollten ernst genommen und behandelt werden.“

Luises Rezension, aufgeblättert


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Das Buch

Super, und dir? von Kathrin Weßling
Ullstein Buchverlage, erschienen 2018

„Super, und dir?“ von Kathrin Weßling ist seit 02. Mai 2019 im Ullstein Buchverlag im Taschenbuchformat erhältlich.

2 Kommentare

  • Zeilentänzerin

    Thematisch ist es sicher beeindruckend und aktuell wie nie. Ich mag das Buch auch unbedingt noch lesen und deine Rezension hat mich noch einmal mehr neugierig gemacht.

    Zeilentänzerin

    • Jennifer

      Liebe Zeilentänzerin,
      das stimmt, das Thema ist brandaktuell! 🙂
      Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen, wenn du es dir dann vornimmst.
      Viele Grüße
      Jennifer

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