"Why we matter" von Emilia Roig
Rezension

Über systemische Unterdrückung – „Why we matter“ von Emilia Roig

Anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte und mit einem sehr scharfen Blick für systemische Strukturen denkt Emilia Roig in Why we matter über Unterdrückungssysteme nach. Obwohl ich bereits einige angrenzende Bücher zum Thema gelesen hatte, hat mich auch Why we matter wieder mit vielen neuen Einblicken versorgt und zum Nachdenken angeregt.

Why we matter – Über soziale Hierarchien, Diskriminierung und Entmenschlichung

Im ersten Teil ihres Buches beschäftigt sich Roig ganz allgemein mit Unterdrückungssystemen in unserer Gesellschaft. Sie beschreibt dabei zunächst welche Prozesse der Entmenschlichung und Unsichtbarkeitmachung zu sozialer Hierarchie führen und wie diese soziale Hierarchie anschließend aufgrund von Rassismus oder weiteren Benachteiligungen zu Diskriminierungserfahrungen führen. Dabei benennt sie auch heutige gesellschaftliche und politische Spannungen zwischen denen, die einen Paradigmenwechsel vollziehen und jenen, die den Status Quo bewahren wollen. Diese Art von Paradigmenwechseln oder Machtverschiebungen ist nicht kein neues Phänomen, sondern führte bereits in der Vergangenheit zu umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen wie beispielsweise dem Ende der Sklaverei. Aufgrund unserer sozialen Hierarchie werden die zugrundeliegenden Kämpfe für Freiheit im kollektiven Gedächtnis jedoch stets als Taten einzelner Machtvoller reduziert.

Medien, Gesundheitssytem, Ehe – Unterdrückung ist vielfältig

Auch wenn Roig ihre Überlegungen stets um eigene Erfahrungen aus ihrem Leben anreichert, ist der Einstieg zunächst etwas theoretischer. Im weiteren Verlauf nimmt sich Roig anschließend verschiedene alltägliche Bereiche gesellschaftlichen Lebens vor und betrachtet diese isolierter. Dabei weist sie immer wieder auf Unterdrückungsmuster und Freiheitsbestrebungen hin und reichert ihre eigenen Gedanken stets um Erkenntnisse weiterer Autoren an. Ich war im Laufe des Buches überrascht, wie viele der verwendeten Zitate ich bereits aus anderen Büchern kannte, und wie diese unter dem Blickwinkel von Unterdrückungsmustern dennoch neue Gedanken in mir weckten.

Überrascht war ich auch darüber, wie alltäglich eine systemische Unterdrückung wirken kann. Zwar ist Alltagsrassismus bereits in vielen Büchern behandelt worden, für Einsteiger kann ich Deutschland Schwarz Weiß von Noah Sow empfehlen. Dennoch ist das Zusammenspiel von verschiedenen Diskriminierungen und Unterdrückungen in Bereichen von privaten und öffentlichen Räumen schier übermächtig. Neben dem privaten Raum betrachtet Roig Schule und Universität als Räume der Bildung, die Medien, den Gerichtssaal und das Krankenhaus. Aber auch der öffentliche Raum in Form der Straße wird von ihr fokussiert. Interessant fand ich, dass der Bereich Arbeit und Kapitalismus nur wenig Raum einnimmt, beziehungsweise oftmals in Bezug auf ein anderes Thema angesprochen wird. Das Kapitel zur Arbeit fokussiert sich dagegen sehr stark auf Sexwork, was sicherlich auch ein nicht zu unterschätzendes Thema ist, aber eben nur einen sehr begrenzten Aspekt von Arbeit in den Fokus stellt.

Dennoch fand ich die einzelnen Kapitel mit ihrem jeweiligen Fokus sehr spannend, weil Roig immer wieder persönliche Lebensgeschichten, systemische Muster und themenindividuelle Aspekte in Bezug zueinander setzt. Obwohl ich eigentlich dachte, dass ich mich bereits intensiv zu Rassismus belesen hätte, habe ich doch immer wieder Neues gelernt und Altes neu überdacht. Das hat mich eindrücklich gezeigt, dass ich mich entgegen meiner ersten Erwartungen doch immer wieder neu an diese doch eher unangenehmen Themen wagen muss. Denn natürlich gehöre ich, wie Roig es im ersten Teil zu sozialen Hierarchien beschreiben hat zu den privilegierten Personen, für die im Alltag keine Notwendigkeit besteht sich mit Rassismus und einer ganzen Reihe weiterer Diskriminierungen auseinander setzen zu müssen. Viele Mikroaggressionen nehme ich darum als solche auf den ersten Blick gar nicht wahr. Umso wichtiger ist es für mich, meinen Blickwinkel durch die Lektüre zu weiten, damit ich nicht den Fehler begehe die Welt ausschließlich auf meine Perspektive zu reduzieren. Why we matter hat mir dabei sehr geholfen!

Fazit: Roig benennt soziale Hierarchien und gesellschaftliche Unterdrückungsmuster und öffnet so den Blick für ein menschlicheres Miteinander. Mit einer Mischung aus abstrakten Überlegungen und persönlicher Geschichte zeigt sie wie weit wir von gesellschaftlicher Gleichberechtigung auf allen Ebenen entfernt sind.


Empfehlungen zum Thema:

Alltagsrassimus und Mikroaggressionen: Deutschland Schwarz weiß von Noah Sow

Sprache und Wahrnehmung von Wirklichkeit: Sprache & Sein von Kübra Gümüsay

Antirassismus und persönliche Entwicklung: How to be an antiracist von Ibram X. Kendi


[Werbung]

Why we matter. Das Ende der Unterdrückung von Emilia Roig
397 Seiten
Erschienen im Februar 2021
Hardcover
Aufbau

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert