Von ‚alten‘ und ‚jungen‘ Feministinnen: „Feminismus Revisited“ von Erica Fischer
Meist reden und denken wir über Feminismus nur auf seinen aktuellen Stand bezogen. Dabei kann man leicht aus den Augen verlieren, dass Feminismus nicht nur hochaktuell ist, sondern auch ganz persönlich ge- und erlebt wird. In Feminismus revisited nimmt Erica Fischer uns mit in ihre ganz private Lebensgeschichte und gibt damit einen sehr persönlichen Einblick auf geschichtliche Entwicklung, die für viele von uns Jüngeren reine Geschichte sind.
Kurz & Knapp: Wer ist Erica Fischer?
Auch wenn der Titel mich neugierig machte, konnte ich mit dem Namen Erica Fischer zunächst selbst wenig anfangen. Als österreichische Frauenrechtlerin war sie mir gänzlich unbekannt. Umso interessierter las ich daher von ihrer Mitbegründung der Neuen Frauenbewegung im Wien der 1970er Jahre. Durch ihre Schilderungen erhält man ein eindrucksvolles Zeugnis von Debatten, Diskussionen und der stetigen Entwicklung einer Bewegung, die allzu gerne als homogen wahrgenommen wird. Bekannt wurde Fischer durch ihre literarische Dokumentation Aimée & Jaguar (erschienen 1995), die mit Zeitzeugenberichten die Liebesbeziehung zweier Frauen während der NS-Zeit nachzeichnet. Das Werk wurde in 20 Sprachen übersetzt und 1998 unter gleichem Titel verfilmt. (Quelle: Wikipedia)
Feminismus, damals und heute
Es war ein merkwürdiges Erlebnis von einer geschichtlichen Entwicklung aus der Perspektive persönlicher Erinnerungen zu lesen. Dieser Gegensatz zieht sich durch das gesamte Buch: Einerseits erzählt Fischer auf einer sehr persönlichen Ebene, sie flicht Erinnerungen in ihre Erzählung ein und wertet natürlich auch ihre eigene Vergangenheit. Andererseits nimmt sie immer wieder einen pseudo-objektiven Blick ein, spricht generalisierend von persönlichen Eindrücken und den Feminismus im Allgemeinen. Das wird besonders auffällig, wenn sie sich mit ‚jüngeren‘ und scheinbar ‚moderneren‘ Feministinnen trifft und sich mit ihnen über deren Geschichten und Erfahrungen austauscht. Besonders dort offenbart sich der tiefe Bruch zwischen verschiedenen Strömungen des Feminismus: Während Fischer daran gelegen zu sein scheint, ihre eigene Entwicklung aufzuarbeiten, sprechen einige dieser jungen Frauen von moderner Gleichberechtigung, von Intersektionalität. Darunter sind aber auch Frauen, denen Fischer bereits Emanzipation attestiert, wenn sie sich als Kellnerin gegen übergriffige Gäste (konkret: die Hand am Po) wehren. Dennoch ist das alles sehr lehrreich zu lesen, wenn ich mich auch nicht allen Einschätzungen Fischers anschließen kann: Hier treffen Generationen aufeinander, die sehr unterschiedliche Erfahrungen machten. Die Geschichte der Frauenbewegung ist nicht lang, wenn man bedenkt wie wenige Generationen an Frauen sich in ihr vereinen. Da erstaunt natürlich auch nicht, dass verschiedene Generationen verschiedene Ansichten teilten und mitunter inhaltlich aneinander vorbeidiskutieren. Darum sind Fischers Überlegungen interessant, aber wirken mitunter veraltet, machen Fischers Gedanken nachdenklich und berühren dennoch wenig aktuelle feministische Debatten. Das macht das Buch nicht weniger wertvoll, denn zu verstehen wie und warum frühere Generationen von Feministinnen denken wie sie denken, kann Debatten überhaupt erst ermöglichen.
Wem hören wir zu und warum?
Eine der großen Fragen des heutigen Feminismus ist auch: Wem geben wir Raum in Debatten und wem hören wir zu? Fischers Feminismus revisited ist der Versuch verschiedene Positionen zusammenzuführen. Sicherlich spielt dabei auch der Wunsch, die eigenen Position zu erklären (und zu legitimieren) eine Rolle. Auch wenn ich die Auswahl thematischer Schwerpunkte und weiterer Standpunkte als wenig gelungen empfinde (zu sehr begrenzt sie das Thema auf Aspekte, die sie selbst als wichtig bewertet) finde ich den Ansatz doch spannend. Schlussendlich lernte ich durch das Selbstporträt eine Menge über Erica Fischer. Und gerade weil wir vielleicht nicht in allen Positionen übereinstimmen, lernte ich viel über meine eigene Art über andere zu urteilen.
Leider hatte ich das Gefühl, dass Fischer selbst der Reflexion über die eigene Wertung in ihrem Porträt keinen Raum mehr einräumte: Obwohl sie sehr verschiedene Frauen besucht und interviewt hat, gibt sie viele dieser Perspektiven nur indirekt wieder oder setzt direkte Zitate in einen wertenden Kontext. Dadurch hat man zwar den Eindruck, dass sie sich mit aktuellen Entwicklungen beschäftigt hat, erfahren tut man von diesen Entwicklungen aber wenig. Fischer bleibt in ihrem Buch die wertende Instanz und das wirkt gleichzeitig irritierend und einengend. Aber vielleicht wäre alles andere auch zu viel Erwartung gewesen.
Fazit: Eigenreflexion und Selbstporträt einer verdienten österreichischen Feministin. Fischer schildert ihre Vergangenheit und versucht alte feministische Debatten mit aktuellen Entwicklungen zu verknüpfen. Gelingen kann dies ob ihrer starken Präsenz und Wertung nur schwerlich, dennoch ein spannendes Buch über die Weiterentwicklung von gesellschaftlichen Diskussionen nachzudenken…
Lektüreempfehlungen: Ebenso spannend, wenn auch deutlich selbstreflektierter sind die Essays von Roxanne Gay: Bad Feminist zu Popkultur, Medien und Gesellschaft. Außerdem empfehlenswert sind Untenrum frei von Margarete Stokowski oder der Sammelband The Future is Female! Was Frauen über Feminismus denken von Scarlett Curtis.
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Feminismus Revisited von Erica Fischer
319 Seiten, Hardcover
Berlin Verlag
Dieses Buch wurde mir kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Herzlichen Dank an den Verlag!