Warum mich „Bad Feminist“ von Roxane Gay gleichzeitig begeistert und enttäuscht hat
Als Bad Feminist vergangenes Jahr erschien, folgten viele begeisterte Rezensionen. Besonders durch die Einschätzung von Janna wurde ich selbst neugierig und habe mir von Bad Feminist viel erwartet. Möglicherweise zu viel, denn mein Urteil fällt sehr durchmischt aus. Dabei hat Roxane Gay eigentlich alles richtig gemacht und schafft es gleichermaßen analytisch wie unterhaltsam zu schreiben.
Good Feminist, Bad Feminist und der Alltag?
Roxane Gay ist Universitätsdozentin und schreibt regelmäßig über Feminismus, Intersektionalität und Repräsentation in der Popkultur. Ihre Texte erscheinen in verschiedenen Webmedien. Das Buch Bad Feminist bietet nun eine Sammlung verschiedener kluger Texte zu Themen des Feminismus und der Kulturwissenschaft. Besonders interessant fand ich, dass das Buch viele alltägliche Ereignisse aufgreift und sich vielfach mit der medialen Darstellung von Frauen, Sexismus, Feminismus und anderen Themen beschäftigt. Denn Aktivismus kann viele Formen annehmen und besteht nicht nur aus Frauentagsdemonstrationen und dem Kampf gegen den Gender Pay Gap.
Enttäuschung trotz so viel Zustimmung
Ich habe Bad Feminist gemeinsam mit Rike (Rike Random) und Elisa (Reisender Bücherwurm) gelesen und wir haben viele Texte diskutiert. Roxane Gay scheint mir eine sehr kluge Frau zu sein, ihre Texte sind pointiert und nachvollziehbar, zudem sehr unterhaltsam. Mit einer Leichtigkeit analysiert sie Filme, Fernsehserien und -auftritte ebenso wie Musik-Lyrics. Ihre Überlegungen sind klug und persönlich und zeigen trotzdem mehr als nur ihre persönliche Sichtweise auf kulturelle Entwicklungen und Repräsentation von Frauen. Zu gerne würde ich einmal ein Seminar bei Frau Gay besuchen, denn ich denke, dass dieses unglaublich diskussionsfreudig und erhellend wäre. Am Ende der Lektüre hatte ich kaum eine Seite, die nicht voller Markierungen war, weil ich mir einfach so viele Gedanken und Sätze merken wollte.
Dennoch bleibt am Ende ein wenig Enttäuschung zurück, weil vieles was Gay schreibt zwar wahr ist, aber nicht überraschend. Sie nennt unzählige Beispiele und Begebenheiten, die allerdings meist auch nur auf den amerikanischen Raum schließen lassen, und gibt sicherlich Rüstzeug um nachzudenken oder die eigenen Sichtweise besser verargumentieren zu können. Doch die neuen Erkenntnisse, die ich mir durch das Buch erhofft habe, blieben für mich leider aus. Das mag auch daran gelegen haben, dass Gay zwar wunderbar schreibt, die Dinge aber vielfach nicht direkt beim Namen nennt. So liegen die eigentlichen Erkenntnisse eher zwischen den Zeilen versteckt und ich frage mich, ob das Buch ohne meine privaten Diskussionspartnerinnen einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen hätte. Fairerweise muss ich aber sagen, dass es schwierig ist, ein gutes feministisches Buch zu schreiben, welches sowohl Einsteiger:innen des Themas nicht ausschließt und andererseits Mehrwert für alle anderen bietet.
Für wen ist das Buch geeignet?
Schlussendlich hadere ich mit der Frage, wem ich das Buch eigentlich empfehlen würde. Für absolute Einsteiger:innen werden möglicherweise zu viele Konzepte, Theorien und einfach zu viel historisches Wissen vorausgesetzt. Menschen mit Vorkenntnissen dagegen vermissen dagegen möglicherweise neue tiefgreifende Erkenntnisse. Dennoch halte ich das Buch für äußerst gelungen und wichtig, weil Pop-Kultur eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielt und deren Repräsentation von Frauen und dessen Einfluss noch von zu vielen Menschen als nicht wichtig abgetan wird. Aktivismus kann viele Formen annehmen und insbesondere die kluge Analyse von Repräsentation spielt langfristig eine große Rolle für eine veränderte Gesellschaft.
Good Feminist, bad Feminist und die eigene Selbsteinschätzung
Ein Punkt ist mir noch besonders wichtig und zwar die eigene Selbstwahrnehmung, die ebenfalls im Buch thematisiert wird. Roxane Gay behauptet provokativ, dass sie eine schlechte Feministin sei, weil sie trotz ihres Wissens und ihrer Sensibilisierung für das Thema Feminismus sich den Einflüssen der patriachalen Gesellschaft nicht entziehen könne, weil auch ihr klischeehafte Handlungen oder geschlechtszuweisende Charakterzuschreibungen passierten, obwohl sie so reflektiert sei. Diesen Punkt fand ich sehr spannend, weil Gay an dieser Stelle verhandelt, ob es Abstufungen an Feminismus gibt und ob man permanent in jedem Moment seines Lebens reflektiert sein kann. Dies ist natürlich nciht möglich, wie auch Gay resümiert und so kommt sie zu dem Schluss, dass eine schlechte Feminsistin (gemessen an den eigenen Maßstäben oder denen anderer) zu sein dennoch besser ist als gar keine Feministin zu sein. Alleine für diese innere Gelassenheit bewundere ich Gay noch einmal mehr und ahne, dass ich das Buch in einigen Jahren sicherlich noch einmal mit neuen Augen lesen werde.
Fazit: Viele kluge Gedanken und scharfe Analyse, allerdings auch vieles zwischen den Zeilen versteckt. Auch wenn es sich eindeutig eher an amerikanische Leser:innen richtet, erhellt die Lektüre und vieles lässt sich mit dem europäischen oder deutschen Raum vergleichen. Ein Buch für Diskussionsrunden!
P. S. Wer einen anderen Essay-Band zum Thema lesen möchte, dem empfehle ich dringend Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit.
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Bad Feminist von Roxane Gay
aus dem Englischen von Anne Spielmann
414 Seiten, Taschenbuch
erschienen im Juni 2019
btb
Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Herzlichen Dank!