[Bücher in Büchern] Das Buch als Event
Rezension

[Bücher in Büchern] Das Buch als Event

Heute gibt es mal wieder einen Gastbeitrag, worüber ich mich sehr freue! Vielen Dank an dieser Stelle an Katrin! 🙂

Ihr wollt auch einen Gastbeitrag zu Bücher in Büchern machen? Dann schaut mal hier: Bücher in Büchern sucht Gastautoren!


Gastbeitrag von Katrin S. von Going westwards


Beige, leicht ins Gelbliche schimmernder Einband, Leinenstruktur, in der vorliegenden Ausgabe leider durch buchbinderische Maßnahmen in einen glänzenden Plastikmantel gehüllt. Die Höhe von ca. 21 cm bei einer Dicke von 3 cm entspricht einem gut in der Hand liegenden Exemplar. Schlicht und elegant kommt es daher; keine Titelei stört das Auge, nur auf dem Rücken das Nötigste: Noëlle Revaz Das unendliche Buch. Mit seiner Schlichtheit reiht sich das Werk unaufgeregt in die Reihe der anderen Bücher in meinem Regal; es macht sich aber auch auf dem dunkelbraunen Mahagonitisch durch seine Unaufdringlichkeit sehr gut. Der Verlag hat alles daran gesetzt, hier ein solides, aber im Erscheinungsbild elegantes Buch herauszugeben, das man einfach besitzen muss und auch kann. Kein verschnörkeltes Drumherum, nein gerade und ehrlich im Design spricht es jeden an.

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Nun, wären wir in der Realität von Noëlle Revaz, so würden wir auch nicht mehr über das Buch erfahren. Wozu auch, es sieht schön aus, passt gut zu den anderen Büchern und reiht sich klaglos in mein Regal ein, um von da an als Kulisse für mein Zimmer zu dienen. Geben wir es doch zu, manche Bücher haben wir nur im Regal stehen, weil man die halt hat. Aber insgeheim noch nie gelesen.

Was kümmert es uns also noch, was in dem Buch drin steht? Die Kritiker oder Talkmaster der Fernsehsendungen haben es uns empfohlen, also wird es gekauft und ins Regal gestellt. Selbst die gefeierten Autoren, die in den Talkrunden ihre Neuerscheinungen präsentieren, haben da so ihre Schwierigkeiten:

Vor lauter Reden über ihr Buch wusste Jenna Fortuni inzwischen nicht mehr so richtig, was eigentlich drinstand. […] Jetzt aber streifte gelegentlich ein Gedanke ihren Geist: Was stand eigentlich in ihrem Buch?“ (S. 37)

Wenn man nun glaubt, dass ein Autor doch wissen muss, was in seinem Buch steht; wer garantiert mir denn, dass ein Mensch den Text verfasst hat? Und wenn sich niemand mehr für den Inhalt eines Buches interessiert, weil das Drumherum ja schon reicht, wer interessiert sich denn dann noch für den Inhalt, woher er kommt, wie er entstanden ist. Wie kann es sein, dass ganze Arbeiten aus Versatzstücken einschlägiger Online-Wikis und anderen Texten stammen und keiner merkt es?

Wenn nun ein Verlag beschließt, aus zwei erfolgreichen Autorinnen eine einzige zu schmelzen, dann geschieht dies. Der Verlag ist die graue Eminenz im Hintergrund, die keiner je zu Gesicht bekommt und die doch bestimmt, wann ein Autor ein Buch veröffentlicht, manchmal sehr zum Erstaunen des Autors. Die beiden Autorinnen aber machen etwas Ungeheuerliches; nicht nur, dass sie nach anfänglichen Schwierigkeiten Freundinnen werden, nein sie wagen es: sie schlagen ihre eigenen Bücher auf! Köstlich die Schilderung:

Jenna Fortuni fühlte sich unbeholfen. Sie wusste nicht so richtig, wie man sich beim Öffnen eines Buches anstellen sollte. Schob man es am besten in der Mitte auseinander und schaute aufs Geratewohl hinein? Oder sollte sie lieber so vorgehen, wie sie es auf einer alten Illustration gesehen hatte, auf der eine Großmutter mit Haube ihren Enkeltöchtern Märchen vorlas? Dann hätte sie das Buch gleich unter dem Umschlagdeckel angreifen müssen.“ (S. 203-204)

Und als das nicht schon ungeheuerlich genug ist, nein sie tun es öffentlich bei der Präsentation ihres ersten gemeinsamen Buches! Zwar mehr unfreiwillig, denn trotz aller guten Vorsätze sitzen beide wie versteinert auf dem Podium und sind nicht in der Lage, ihr Buch zu öffnen. Aber durch eine Ungeschicklichkeit fliegt das Buch durch die Luft und bleibt – oh Schreck – geöffnet liegen!!

Es war ein peinlicher Anblick, der sich da bot. Das Buch war auf die falsche Seite gefallen. Es war auf seinen breiten Rücken geknallt, was wirklich nicht hätte passieren dürfen. Das Buch lag total liederlich da. Die frische Luft strich um seine Eingeweide, das Innere war zur Schau gestellt.“ (S. 273)

Die Moderatorin erhascht einen Blick in das Buch und während das Buch schnell wieder zugeklappt wird, geht eine wundersame Wandlung in ihr vor: sie möchte wissen, was auf den anderen Seiten des Buches steht, ob das überhaupt etwas steht und so weiter. Sie nimmt also das Buch an sich und während sie mit den Talkgästen plaudert, öffnet sie das Buch. Mit Folgen für die anderen Autoren, Zuschauern, Moderatoren, die plötzlich das Wesen des Buches wiedererkennen.

Abstrus, spannend, erschreckend zugleich, wenn man sich etwas mit dem Verlagsgeschäft auskennt und erkennt, auf welchem (Irr-)weg sich die Branche, Autoren, Leser…. geradewegs unterwegs sind oder vielleicht gibt es doch noch eine Abzweigung und die Entwicklung nimmt eine unbekannte Wendung?

Aber auch die Nebenhandlungen, das zwischenmenschliche Miteinander, die Dos and Don’ts, die Auswahl von Freunden über einen Computerkatalog, der aufgrund der Profile die Gästeliste zusammenstellt; die Musik als immerwährender Stream, die Freundschaft zu „Gastfamilien“ via Bildschirmmeetings; alles abstrus überzeichnet und doch erschreckend realitätsnah.

Dieses Verschwimmen der Grenzen, das Spiel mit der Fast-Realität, das Bekanntsein vieler Dinge und doch phantastische Zukunftsspielerei, das machte das Buch für mich so spannend und fesselnd.

Die vollständige Rezension findet ihr bei Katrin:  Das unendliche Buch… auf Going westwards


Hier geht’s zum Buch

Das unendliche Buch von Noëlle Revaz
Wallstein Verlag
gebunden mit Schutzumschlag
284 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-8353-1870-0

Herzlichen Dank an Katrin, dass ich ihre Rezension hier veröffentlichen durfte,
und den Wallstein Verlag für das Cover-Foto!

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