[Graphic Novel] "Maus" von Art Spiegelman
Rezension

[Graphic Novel] „Maus“ von Art Spiegelman

Mein Freund liest sehr gerne Graphic Novel, bevor ich ihn kannte, bin ich jedoch nie mit bebilderten Geschichten in Kontakt gekommen. Ehrlich gesagt, war ich wohl auch ein wenig voreingenommen (bekommt man im Studium wohl eingetrichtert). Der Schatz legt mir aber immer mal wieder eine Graphic Novel raus und nachdem eine Freundin ebenfalls geschwärmt hat, habe ich es dann auch probiert. Maus ist nicht die erste Graphic Novel, die ich gelesen habe. Aber nachdem ich sie Ende Januar passend zu #WeRemember (schaut mal auf Twitter!) gelesen habe, war der Wunsch da, euch diese Graphic Novel auf jeden Fall zu empfehlen. Also starten wir mal 😉

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Maus von Art Spiegelman

Der Jude Wladek Spiegelman erzählt seinem Sohn Artie von den Stationen seines Lebens: Von seiner Heimat Polen und der Zeit in Auschwitz, von Stockholm und schließlich New York. Artie zeichnet alles auf, das Positive wie das Negative, die guten Seiten seines Vaters und die schlechten. Ein vielschichtiges Bild eines Überlebenden entsteht, dessen Eigenheiten doch nur Ausdruck seiner gewonnenen Überlebenskampfes sind. Dabei kämpft Artie auch mit sich selbst: Kann man die eigene Vergangenheit überwinden? Was hat Geschichte mit mir selbst zu tun?

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Vereinfacht, nicht einfach

Der Holocaust und die NS-Zeit sind keine leichten Themen, die Art Spiegelman sich ausgesucht hat. Dennoch ist dieses Buch beeindruckend, gerade auch, weil durch die Bilder nur scheinbar die Komplexität vereinfacht wird. Die Juden als Mäuse, die Nazis als Katzen, so simpel und so tiefschichtig reduziert die Graphic Novel die Unterschiede zwischen Menschen. Sollten Franzosen nun Frösche sein? Und ist ein französischer Jude nun eine Maus oder sollte der jüdische Franzose nicht auch Frosch sein? Der Zeichner Artie streut solche Überlegungen wie nebenbei ein, die Fragen bleiben unbeantwortet und nehmen den Leser in die Haftung, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Die Masken, die die Figuren tragen, sind dabei ebenso schlicht wie genial.

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Wladek Spiegelman ist als Figur zu gleichen Teilen sympathisch wie unsympathisch, ein normaler Mensch eben, der Mitgefühl nur aufgrund seiner Geschichte, nicht aufgrund seines Wesens weckt. Nichts wird beschönigt, seine Frau Mara und sein Sohn Artie verfluchen seinen Eigensinn oft genug.

[Artie] „Hätten sie dir denn nicht auch umsonst geholfen? Ich meine, ihr wart doch verwandt…“
[Wladek] „Ha! Du verstehst nicht… zu der Zeit ist gewesen NICHTS mehr mit Verwandtschaft. Es ist gewesen jeder für SICH.“

Maus, Seite 114

Der Schrecken des Holocaust wird an der Geschichte eines Einzelnen erfahrbar, gleichzeitig wird dieser nicht im Mindesten überhöht oder auf ein Podest gestellt. Das Überleben kein Siegen, Sterben kein Verlieren ist, wird ebenso thematisiert wie der Zwang zu bestimmten Handlungen und das große Glück, das oftmals das eigene Leben rettet. Gleichwohl wirkt dieses Glück irgendwie schal und hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

Seufz. Ich meine jetzt nicht DEIN Buch, aber sieh dir doch mal all die Bücher an, die über den Holocaust schon geschrieben worden sind. Na und? Die Menschen haben sich nicht verändert… Vielleicht brauchen sie einen neuen größeren Holocaust. Wie auch immer, die Umgekommenen können nie IHRE Geschichte erzählen, da wär es vielleicht besser, gar keine Geschichten mehr zu erzählen.

Maus, Seite 203

Ich möchte nicht viel auf die Bilder eingehen, denn ich kenne mich nicht gut genug mit Graphic Novels aus, um dazu qualitativ etwas sagen zu können (Gelungen finde ich die Zeichnungen allemal). Aber rein von der Geschichte hat Maus mich beeindruckt und nachdenklich gemacht und daher möchte ich es wirklich jedem empfehlen!

Geschichte interessant machen


Diskussion 🙂

Habt ihr Maus schon einmal gelesen? Hat es euch auch so bewegt?

Welche anderen tollen Holocaust-Bücher könnt ihr noch empfehlen? Bei mir war die Nummer eins ja immer Der Junge im gestreiften Pyjama von John Boyne. Aber auch Die Bücherdiebin fiele mir spontan ein. Auch das schmale Adressat unbekannt von Kressmann Taylor kann ich jedem nur nahe legen.


Weitere Meinungen

Man könnte nun denken, die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden in Form eines Comics zu erzählen, würde das Ganze verharmlosen und dem Grauen vielleicht nicht gerecht werden. So ist es jedoch ganz und gar nicht.“ bei Buntes Tintenfässchen

„Und völlig zu Recht ist sie eines der wichtigsten Werke in diesem Genre, sollte aber genauso Pflichtlektüre für alle sein, die etwas über den Holocaust erfahren wollen.“ bei Leselink

„Ob du dich bisher viel oder wenig mit der Geschichte rund um den Zweiten Weltkrieg befasst hast, ist egal, wenn du dich an das Buch begibst. Es zeigt sehr tiefgehend und persönlich die Machenschaften der Nazis und der Menschen in der damaligen Zeit im Allgemeinen.“ bei Fraencis Daencis

„Die Judenverfolgung als Katz- und Maus-Spiel? Sobald man Art Spiegelmans „Maus“ aufschlägt, erkennt man, dass der Kunstgriff, mit dem er die Geschichte zu verniedlichen scheint, sie in Wahrheit vor jeder Verharmlosung bewahrt. Ein Überblick über den Nationalsozialismus im Comic.“ in der FAZ

„Der Holocaust als Comic: Sein so umstrittenes wie bahnbrechendes Werk „Maus“ machte Art Spiegelman weltberühmt. Es war für ihn Ausdruck des Unaussprechlichen, das seine Eltern in Auschwitz erlebt hatten, aber auch Verarbeitung eigener Gefühle“ bei N-TV

„Art Spiegelman erhält den Siegfried-Unseld-Preis, eine Retrospektive in Köln feiert sein Lebenswerk. Für den Pulitzer-Preisträger fühlt sich das alles posthum an“ bei Zeit.Online

Hier geht’s zum Buch

Maus

Die vollständige Maus von Art Spiegelmann
S.Fischer Verlag
295 Seiten; 14,95 Euro (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-596-18094-3

12 Kommentare

  • Anetts Bücherwelt

    Oh wie fein! Ich habe ja bisher auch noch nie eine Graphic Novel gelesen, aber jetzt eine erste gekauft, allerdings ein etwas anderes Thema 😉
    Deine Rezension macht Lust auf diese hier, ich finde das richtig stark umgesetzt!
    Gelesen habe ich damals in meiner Schulzeit „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz und darüber auch meine deutsch Abschlussarbeit geschrieben, das Buch hat mich so sehr bewegt!

    Liebe Grüße Anett

    • Jennifer

      Hallo Anett,
      das Buch sagt mir leider gar nicht, muss ich mir mal ansehen 🙂
      Freut mich, dass dir die Rezension gefällt 🙂 Ich kann die GN wirklich nur empfehlen, fand sie insgesamt gut umgesetzt.
      VG Jennifer

      • Anetts Bücherwelt

        Ja das Buch ist schon ein älteres Semester 😉 Das gibt es glaub ich nur noch in Neuauflage. Das war zu meiner Zeit DAS Buch als Symbol antifaschistischen Widerstandes. Und auch wenn ich nicht viel mit denBüchern aus der DDR anfangen kann, die wir lesen mussten, ist das doch wirklich nachhaltig bei mir hängen geblieben. Genauso wie das Buch „Die Abenteuer des Werner Holt“ – auch so ein Buch! passt auch zum Thema. falls du dich dafür weiter interessierst.

        Liebe Grüße Anett

        • Jennifer

          Interessieren schon, aber so wenig Zeit zu lesen *augenzuhalt*
          Bei vergriffenen Werken ist es aber auch schwierig ranzukommen. Ich hab aber auch noch zwei Werke zur NS-Zeit hier stehen, die lese ich zuerst mal 🙂
          Viele Grüße
          Jennifer

  • idasbookshelf

    Vielen lieben Dank für diese ausführliche Rezension! Gerade bei solchen sensiblen und schwierigen Themen wie dem Holocaust finde ich es wunderbar, wenn die Umsetzung gelingt und sich ein weiterer Blickwinkel öffnet – und dann auch noch in dieser vergleichsweise recht neuartigen Form des Graphic Novel. Ich bin direkt versucht, dieses Buch im Laden durchzusehen und eine Weile darin zu lesen. 🙂
    Und ich muss dir absolut zustimmen, „Der Junge im gestreiftem Pyjama“ und „Die Bücherdiebim“ ist absolute Weltklasse. Hast du „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerri schon gelesen? Soweit ich mich erinnern kann, war das auch sehr gut gemacht – und der Holocaust hat auch seinen eigenen Platz darin.
    Liebste Grüße,
    Ida

    • Jennifer

      Hallo Ida,
      ich finde generell, dass es zu wenige gute Holocaust-Bücher gibt. Judith Kerr sagt mir leider noch gar nichts. Sieht mir vom Cover her nach Kinderbuch aus, oder?
      Dabei fällt mir direkt noch „Ben liebt Anna“ ein (eher jüdische Schicksale als wirklich Holocaust) und „Eine Reise im August“ (soooo traurig).
      Hmm. Vielleicht gibt es doch eine Menge gute Bücher und wir bzw. ich verdränge die im Alltag nur sehr.
      Wenn du demnächst im Buchladen bist, schau auf jeden Fall mal in „Maus“ rein 🙂 Lohnt sich!
      Viele Grüße
      Jennifer

      • idasbookshelf

        Hallo liebe Jennifer!
        Das stimmt, ich kenne wirklich wenige Bücher, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen. Oder es ist tatsächlich so, dass ich solche Bücher leichter aus den Augen verliere, wenn ich sie mal gelesen habe.
        Das Buch von Judith Kerr ist – soweit ich weiß – ein Jugendbuch, das 1971 erschienen ist und sogar autobiographische Züge enthält. Ich glaube mich zu erinnern, es als Schullektüre gelesen zu haben und dass es mich nachhaltig beeindruckt hat.
        „Ben liebt Anna“ muss ich auch mal wieder hervorkramen, das hab ich so gern gelesen. Aber „Eine Reise im August“ kenne ich noch gar nicht – das werde ich mir gleich mal anschauen. Danke für den Tipp! Ein Geheimtipp ist übrigens noch „Jauche und Levkojen“ von Christine Brückner. Das Hörbuch dazu, gelesen von Eva Mattes, ist Gold wert. Es deckt sowohl die Zeit zu Beginn des ersten bis in den zweiten Weltkrieg hinein ab und ist sehr, sehr gut erzählt.
        Liebste Grüße,
        Ida

        • Jennifer

          Liebe Ida,
          danke für die Empfehlung, schaue ich mir auch mal an. Wobei ich gerade merke, dass ich auch einfach mal Abstand brauche. Ich glaube, mein nächstes Buch muss wieder mal seichter werden, denn aktuell lese ich wieder zwei so ernste… 🙂
          VG Jennifer

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